Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken Pressemitteilung

Gemeinsam voneinander lernen

Interview mit Pfarrerin Susanne Falcke, Pfarrer Gerd Oevermann und Dr. Doerthe Schilken über das durch den Innovationsfonds der EKvW geförderte Projekt "Interkulturelles Gemeindewachstum im ländlichen Raum".

Ulf Schlüter (l.), theologischer Vizepräsident der Evangelischen Landeskirche, übergab den Preis an Mitglieder des Projektteams: v.l. Dr. Dörthe Schilken, Pfarrer Gerd Oevermann, Elmira K., Pfarrerin Dagmar Spelsberg-Sühling, Dr. Esther Sühling, Khaled Bavi. (Foto: R. Itermann/Creative Kirche)

Für ihr gemeinsames Projekt „Interkulturelles Gemeindewachstum im ländlichen Raum“ haben die Ev. Kirchengemeinden aus dem Kreis Coesfeld (Coesfeld, Dülmen, Nottuln und Billerbeck) 60.000 Euro aus dem Innovationfonds „TeamGeist“ der Ev. Kirche von Westfalen erhalten. Durch das Projekt möchten sich vier Gemeinden interkulturell und in die Gesellschaft hinein öffnen und weiten; dabei sollen Alteingesessene und Hinzugekommene angesprochen und stärker miteinander verbunden werden. Im Interview sprechen Pfarrerin Susanne Falcke und Pfarrer Gerd Oevermann aus Dülmen sowie Dr. Doerthe Schilken, die das Projekt als hauptamtliche Kraft koordiniert, über die Entstehung, die Umsetzungspläne und ihre Ziele für die kommenden drei Jahre.

Sie erhalten für das Projekt einen Innovationspreis. Was ist denn das Innovative daran?

Oevermann: Wir gehen hier im ländlichen Raum, im Kreis Coesfeld, mit vier Gemeinden ein gemeinsames Projekt an. Wir haben ein gemeinsames Anliegen und das wollen wir zusammen voranbringen. Also Gemeindeentwicklung über Gemeindegrenzen hier im ländlichen Raum über viele Wälder und Felder hinweg.

Schilken: Inhaltlich ist das Innovative für den ländlichen Raum, dass wir sagen: Wir sehen Zugewanderte nicht als Objekt, sondern als Subjekt. Wir wollen ihnen nicht Hilfestellung geben, sondern sehen sie als gleichberechtigtes Gegenüber und wollen von ihnen lernen. Es soll also ein Zwei-Wege-System werden. Innerhalb der vier Gemeinden kann man dann auch Schwerpunkte setzen. Das muss sich aber erst entwickeln.

Wie ist die Idee dazu entstanden?

Falcke: Wir haben irgendwann gehört, dass die Landeskirche diesen Förderfonds „TeamGeist“ auflegen würde und dachten: „Das wäre doch genau was für uns.“ Wir haben mit der ÖFID eine sehr engagierte ökumenische Flüchtlingsarbeit. Wir haben aber gemerkt, dass neben dieser Flüchtlingsarbeit der Gemeindefokus immer stärker wird. Deswegen haben wir uns erstmal ganz blauäugig beworben. Wenn wir allerdings gewusst hätten, wie aufwendig das Bewerbungsverfahren ist, hätten wir uns davon wahrscheinlich abschrecken lassen. 2019 haben wir den ersten Aufschlag gemacht und dann nochmal zwei Jahre gebraucht, um alles einzustielen. 

Schilken: Das hatte allerdings auch den Vorteil, dass uns das gezwungen hat, die Sache genauer durchzudenken. Wir sind nicht mit dem fertigen Projekt daran getreten, sondern durch dieses aufwendige Verfahren sind uns auch immer wieder selbst Fragen gekommen, auch im Gespräch mit den anderen Gemeinden.

Warum braucht das Projekt eine hauptamtliche Kraft?

Schilken: Weil die Erfahrung zeigt, dass so ein Projekt vor die Wand läuft, wenn man sagt: „Ach toll, ihr Ehrenamtlichen habt eine tolle Idee, macht das mal!“ Es muss einen Kristallisationspunkt für die organisatorischen Sachen geben. Für die Presbyterien ist es schon eine Riesenherausforderung, als Ehrenamtliche als Leitungsgremium zu fungieren. Wenn ich das jetzt auch noch da rüberschiebe, bleibt auf den Ehrenamtlichen die Last liegen, aber die Idee ist, dass bei den Ehrenamtlichen die Kür sein soll.

Ein anderer Aspekt hat damit zu tun, dass interkulturelles Arbeiten anstrengend ist. Man muss sich auch mal irgendwo ausweinen und sagen können: „Das geht jetzt gar nicht.“ Und dafür braucht man jemanden als Ansprechpartner, der die entsprechenden Hintergründe und Erfahrungen hat.

Und der dritte Punkt ist die Zurüstung. Das Ziel ist ja, dass die Ehrenamtlichen einen Kreis bilden und das auf Dauer auf ehrenamtlicher Basis weitergehen soll. Aber das muss erstmal dahin kommen und Fähigkeiten müssen ja auch erstmal ausgebildet werden.

Oevermann: Es gibt ja noch gar keine Strukturen. Und das ist so viel Arbeit, das lässt sich von einer einzelnen ehrenamtlichen Person kaum bewältigen. 

Welche Erfahrungen können Sie, Frau Schilken, als hauptamtliche Kraft persönlich in das Projekt mit einbringen?

Schilken: Ich bin Sprach- und Literaturwissenschaftlerin und habe lange Zeit im Ausland verbrat und sehr lange interkulturell gearbeitet. Seit 2015 habe ich mit unserer Flüchtlingsinitiative zusammengearbeitet und sie seit 2016 koordiniert. Das war eine Anstellung innerhalb unserer Kirchengemeinde. Das heißt, ich bin mit der Gruppe der Zugewanderten in unserer Kirchengemeinde gerade ohnehin sehr eng verbunden. Ich bin Ansprechpartnerin gewesen, aber eben auch weit über die Gemeinde hinaus. Außerdem arbeite ich freiberuflich als Referentin und Fachberaterin und habe aufgrund dieser Tätigkeit im ganzen Kreis Coesfeld viele Vorträge gehalten und arbeite auch mit dem kommunalen Integrationszentrum zusammen, sodass mich die Flüchtlingsinitiativen im Kreis auch alle schon kennen.

Was ist denn konkret geplant, um die Projektziele zu erreichen?

Schilken: Das eine sind Veranstaltungen, aber keine Sachen, die auf Dauer laufen. Nehmen wir zum Beispiel mal ein interkulturelles Musikprojekt. Das würde man dann an einem Samstag oder Sonntag planen und würde sich dann aus den Gemeinden und den Zugewanderten Leute zusammensuchen, die das gemeinsam organisieren. Und hier sind wir bei dem entscheidenden Punkt: Das gemeinsame Organisieren bringt die Leute zusammen, nicht die Veranstaltung. Deswegen geht es immer wieder um diese Vorbereitungskreise, weil die dafür sorgen, dass was passiert. Das gilt aber auch für Sachen, die schon laufen. In Dülmen gibt es beispielsweise schon Glaubenskurse für Iraner. Es hat auch immer schon Glaubenskurse für die Deutschen gegeben. Wir haben das aber bisher noch nicht gemischt, weil es sich nicht ergeben hat. Oder die Frage „Wie gestalten wir Gottesdienste anders, damit sie gemeinsam stattfinden?“ Es geht um dieses Zusammenkommen. Dazu gehören für die Ehrenamtlichen auch Schulungen in Interkulturalität. Aber die Ehrenamtlichen sind eben auch beide. Weil es darum geht, dass beide Gruppen immer etwas zusammen machen.

Im Mittelpunkt des Projekts stehen Geflüchtete und Neuangekommene. Inwiefern profitieren auch „alteingesessene“ Gemeindeglieder von dem Projekt?

Schilken: Es geht um Veränderung von Sicht und Veränderung von Spiritualität. Menschen aus anderen Kulturräumen bringen andere Spiritualitätserfahrungen mit und häufig bleibt den Menschen, die immer nur in einer Gemeinde waren, das fremd. Ich nehme mal ein anderes Beispiel: Als in den 90er-Jahren Russlanddeutsche zu uns gekommen sind, haben sie in einer unserer Gemeinden angefangen, ein sogenanntes Hausabendmahl durchzuführen. Das ist etwas, wovon ein Großteil der deutschen Gemeindeglieder noch nicht einmal etwas weiß. Das ist komplett getrennt geblieben. Und daraus wollen wir lernen. Wir wollen, dass bei solchen Sachen mehr Durchlass entsteht.

Oevermann: Wenn man über viele Jahre und manchmal Jahrzehnte immer in den gleichen Bahnen läuft, dann entleeren sich bestimmte Dinge auch einfach. Jetzt zu erleben, dass Glaube eine Kraft hat, die wirklich das Leben bestimmen kann und auch helfen kann, etwas auszuhalten und zu bewältigen, wie unfreiwillig ein ganzes Land zu wechseln, ohne vom Glauben getrennt zu werden und dann plötzlich hier in einer neuen Gemeinde zu sitzen, das sind alles Erfahrungen, die einen bequemem Münsterländer und auch mich als Pfarrer schwer beeindrucken. Da spüre ich nochmal eine ganz neue Energie.

Bisher existieren die Pläne größtenteils nur auf dem Papier. Wie überzeugt sind Sie, dass das Vorhaben auch gelingt?

Schilken: Wir haben keine Ahnung, was passiert. Ich sage das mal ganz brutal: Das kann auch mit Pauken und Trompeten in die Hose gehen. Das ist kein Rezept. Es sind real existierende Menschen, die mit ihren persönlichen Befindlichkeiten zusammenkommen oder nicht zusammenkommen. Ich denke, das ist eine typische Sache im Reich Gottes: Wo der Geist weht, passiert irgendetwas. Aber was da passiert, das wissen wir vorher nicht.

Falcke: Ich sehen das anders. Es kann sein, dass das hinter unseren Hoffnungen zurückbleibt, aber wir erleben da ja schon etwas, dem wir Raum geben wollen. Es gibt da diesen Spruch von Uta Pohl-Patalong: Wenn du irgendwo etwas wachsen siehst, halte die Gießkanne drauf. Das ist unser Prinzip.

Oevermann: Ich sehe das irgendwo dazwischen (lacht). Ja, es kann sein, dass nicht das entsteht, was wir uns erhoffen, aber wir fangen auch nicht bei Null an. Das ist keine Vision, die irgendwo vom Himmel geholt ist. Pflänzchen sind schon da, manchmal sogar Pflanzen. Und wir schaffen jetzt die Voraussetzungen und Bedingungen, damit das möglichst gut wächst und sich verbreitet.

Schilken: Es könnte auch sein, dass das jenseits unserer Vorstellungen explodiert und besser läuft, als wir uns erträumen. Aber das wissen wir eben nicht.

Wäre es auch vorstellbar gewesen, das Projekt ohne die Förderung von „TeamGeist“ auf die Beine zu stellen?

Falcke: Nein, allein hätten wir das finanziell nicht stemmen können.

Lassen Sie uns zum Schluss einen kleinen Blick in die Zukunft werfen und ein bisschen träumen. Was stellen Sie sich vor: Wie sehen Ihre Kirchengemeinden in drei Jahren aus?

Schilken: Im Umgang miteinander geht es darum, wegzukommen vom kleinsten gemeinsamen Nenner zum kleinsten gemeinsamen Vielfachen. Also wegzukommen von der Einstellung „Das tut man hier nicht“, sondern zu sagen: „Alles, was dazukommt, bereichert uns zunächst einmal.“ Das alles bezieht sich auf kulturelle Fragen und auf die Art und Weise, wie man Glauben ausleben kann. Wir sollten uns trauen, das in die Gemeinde reinzulassen. Das ist im Münsterland keine Selbstverständlichkeit – in Großstädten sieht das anders aus. Meine Vision wäre also, dass man Schulter an Schulter nebeneinandersteht, und zusammen vorwärts geht und am Reich Gottes arbeitet und daran auch gemeinsam wächst.

Oevermann: Das eine wäre, dass Dülmener mit Selbstverständlichkeit zu etwas in Nottuln fahren, dass das also etwas Regionales wird. Und das zweite, dass die Gemeindegruppen in sich nicht kulturell abgeschlossen sind, sondern sie auch von Menschen mit Migrationshintergrund besucht werden und umgekehrt auch.

Falcke: Ich habe kürzlich etwas Visionäres erlebt bei der Einführung von Pastor Mehrdad Sepehri Fard im Lukas-Gemeindezentrum in Paderborn. Dort ist vor vielen Jahren schon eine iranische Community in der Gemeinde entstanden und es war immer klar, dass sie ein Tel der Gemeinde ist. Diese Vielfalt wurde dort bewusst gefördert und gesucht. Da ist eine große iranische Gemeinde Teil der Gemeinde. Und das erlebe ich im Kleinen jetzt auch schon in Dülmen und ich glaube, dass das Nachbarschaftliche diese Dynamik auch nochmal befördern kann. Wenn ich persönlich Anteil nehme an dieser Lebendigkeit, dann beflügelt mich das auch.

Interview: Maximilian Stascheit

 

Das Video, mit dem sich das Team erfolgreich für den Förderpreis beworben hat, finden Sie auf unserem YouTube-Kanal "Christ - na und? Neuigkeiten aus St. Coebor" (Klick auf den Link).