Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken

Haben wir denn nichts aus den Kriegserfahrungen der Großeltern gelernt?

Soziales Seminar Dülmen befasste sich mit konkreten Hilfsmaßnahmen für Ukraine-Geflüchtete

Emeka Bob-Anyeji (links) und Vasyl Dachauer vom Kommunalen Integrationszentrum des Kreises Coesfeld. Foto: R. Nix

Mehr als 40 Jahre währt die Tradition des „Sozialen Seminars“ in Dülmen, das von Thorsten Bomm, Evangelische Kirchengemeinde  Dülmen und Dr. Lothar Moschner, katholische Kirchengemeinde, organisiert wurde. Nach einer coronabedingten Pause konnte das Seminar jetzt mit dem Thema „Krieg(e) und kein Frieden?“ fortgesetzt werden. Neu im Orga-Team ist Dr. Esther Brünenberg-Bußwolder, Bildungsreferentin im Evangelischen Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken.

Im zweiten Teil der dreiteiligen Veranstaltungsreihe am 8. Mai stand die Frage im Vordergrund, wie sich vor Ort für den Frieden handeln lässt. Im Gemeindehaus am Königswall wurden unter Moderation von Dr. Moschner drei Hilfsprojekte vorgestellt und Gelegenheit zur Diskussion gegeben.

„Geflüchtete kommen in ein neues Land mit neuen Herausforderungen“, so der strategische Koordinator im Kommunalen Integrationszentrum des Kreises Coesfeld, Emeka Bob-Anyeji. Er ist Kollege von Vasyl Dachauer, selbst Ukrainer und Integrationsbeauftragter des Kreises. „Wir helfen und unterstützen, wo wir nur können“, betonte Dachauer. Zur Situation in seinem Herkunftsland hob er unter anderem hervor: „Wir wollen uns verteidigen.“ Insbesondere die Strategie der russischen Armee, zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser zu zerstören, sei nicht hinnehmbar. „Gottseidank sind wir nicht allein“, betonte er mit Blick auf die Hilfe westlicher Staaten.
„Manche Geflüchtete möchte die deutsche Staatsbürgerschaft“, so Bob Anyeji, „ich helfe bei der möglichst raschen Einbürgerung.“ Sechs so genannter „Case-Manager“, deren Zahl auf 12 aufgestockt werden soll, unterstützen Geflüchtete, die oft mit multiplen Problemen nach Deutschland kommen. „Ein Mann aus Nigeria, der dort studierte, will beispielsweise sein Studium in Deutschland anerkennen lassen“, erläuterte Bob-Anyeji. Doch es gibt noch größere Probleme wie die Traumatisierung durch Kriegseinwirkung, wobei oft therapeutische Hilfe unerlässlich ist.
Das „Case-Management“, erklärte Dachauer mit Hilfe eines Schaubildes, „ist im Rahmen kommunalen Integrationsmanagements ein Türöffner, um konkrete Probleme zu erfahren und lösen können“. „Wir begleiten Sie bis ans Ziel“, versprechen die Mitarbeiter den Neuankömmlingen. In Teilhabekonferenzen werden gemeinsam Lösungen gesucht und oft auch gefunden.

Das Busunternehmen Hölscher aus Billerbeck wurde in der Hilfe für Ukrainer:innen schon früh aktiv, nachdem der russische Angriffskrieg im Februar 2022 gerade erst begonnen hatte. „Wir haben bereits mehr als 25 Jahre Kontakte zu Weißrussland und Ferienfreizeiten für Kinder organisiert“, sagte Heike Seidel-Hölscher, die mit ihrem Sohn Moritz Hölscher der Einladung zum Seminar gefolgt war. Sie berichtete von einer Ukrainerin, deren kleiner Sohn fotografisch mit einer Militäruniform abgebildet war. „Ich reihe mich ein in Mut und Männlichkeit“, stand darunter geschrieben. So etwas macht betroffen“, betonte Seidel-Hölscher. „Haben wir denn aus der Geschichte unserer Großeltern nichts gelernt?“ Das Busunternehmen organisierte Ende Februar 2022 in nur wenigen Tagen eine Fahrt ins ukrainische Grenzgebiet, um dort Hilfsgüter abzuladen und Flüchtlinge mitzunehmen. Zur Gewährleistung sprachlicher Verständigung war schnell eine Dolmetscherin aus der Gemeinde gefunden.
Pfarrerin Katrin Ring, unter anderem auch in Traumabewältigung ausgebildet, setzte sich ebenfalls spontan in den Bus und fuhr mit. „Am Ziel angekommen, boten wir an, die Flüchtlinge bis nach Münster mitzunehmen“, so Moritz Hölscher. Doch viele wollten gar nicht so weit, vielleicht auch nur bis nach Polen. Noch herrschte Hoffnung, der Krieg sei in maximal zwei Wochen beendet und man könne schnell in die Heimat zurückkehren. Manche der 37 Menschen verließen bereits in Krakau oder in Leipzig den Bus. Inklusive Hin- und Rückweg wurden rund 2.700 Kilometer zurückgelegt.

Tharmarajah Chelliah, Vorsitzender von „Nottuln & Friends“ und Vorstandsmitglied Rudolf Schöpper, stellten die Aktivitäten des eingetragenen Vereins vor. Die Einrichtung des Sozialkaufhauses „Meet and Collect“ erlaubt die angemessene Präsentation von Sachspenden in einem vorher leerstehenden Geschäftslokal in Nottuln. Zunächst wurden die Spenden in einem Stall gesammelt. Innerhalb eines Wochenendes war der Umzug vollzogen, die Räumlichkeiten wurden in kurzer Zeit zum Sozialkaufhaus und Treffpunkt umfunktioniert. „Hier dürfen nur Hilfsbedürftige einkaufen, wir prüfen das anhand entsprechender Nachweise“, sagt Chelliah.
Für ukrainische Mütter und Kinder wurde ein Sendbesuch organisiert und finanziert, auf der Gemeindewiese in Nottuln veranstaltete der Verein ein Kinderfest. „Wir haben spendenfinanziert auch zahlreiche Transporte von Sachbedarfsgütern in die Ukraine organisiert“, so der Vorsitzende. „In der Begegnungsstätte „Meet and Collect“ boten wir ab Juni 2022 bereits die ersten Alphabetisierungskurse an.“ Dennoch ist das Interesse an Sprachkursen generell größer als das Angebot. Rudolf Schöpper erläuterte die Zusammenarbeit mit den Kapuzinermönchen bei der Organisation der Hilfstransporte. Um den Geflüchteten optimal zu helfen sind allerdings an manchen Stellen mehr Fördergelder notwendig, lautete das Fazit am Schluss der Veranstaltung.

Text: R. Nix