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Weiterführung der Prostituierten- und Ausstiegsberatung TAMAR gefährdet

Leiterin Birgit Reiche wünscht sich Fortsetzung der Arbeit im Münsterland

Birgit Reiche. Foto: privat

Die Prostituierten- und Ausstiegsberatung TAMAR musste in diesem Jahr ihre Tätigkeit in einigen Kreisen in Westfalen einstellen, weil die Finanzierung nicht mehr gesichert war. Wie sieht die Zukunft von TAMAR im Münsterland aus?
Birgit Reiche: Aktuell wird die Arbeit von TAMAR im Münsterland durch Aktion Mensch gefördert. Diese Förderung läuft im April 2021 aus. Wir hoffen, auch darüber hinaus mit anderen Förderungen unsere Arbeit fortzusetzen. Wir werden zum Beispiel in den nächsten Wochen Anträge an die Kreise und die Stadt Münster stellen. Dazu brauchen wir die Unterstützung vor Ort.

Welche Ziele verfolgt die Arbeit von TAMAR?

Birgit Reiche: TAMAR Münsterland setzt sich ein für das Recht der Prostituierten auf ein selbstbestimmtes, vorurteilsfreies Leben und Arbeiten in der Prostitution und unterstützt Frauen bei der Entwicklung einer neuen Lebensperspektive außerhalb der Prostitution, wenn diese dies wünschen. Die Klientinnen entscheiden selbst, welche Hilfe sie haben wollen.
Prostitution ist nicht nur ein Phänomen der Großstädte sondern auch im ländlichen Bereich und kleineren Städten vertreten. Auch hier besteht das Recht auf den Zugang zu vorurteilsfreier, parteilicher Beratung. TAMAR Münsterland hat einen niederschwelligen Beratungsansatz der mobilen aufsuchenden Beratung und trifft die in der Prostitution tätigen Menschen direkt vor Ort in den Prostitutionsbetrieben.

Wie viele Mitarbeiterinnen kümmern sich um die Klientinnen im Münsterland? Wie viele Klientinnen werden im Jahr beraten?
Birgit Reiche: Wir haben im April 2018 das neue Beratungsangebot mit knapp zwei Personalstellen und vier Mitarbeiterinnen aufgebaut. Im Jahr 2019 wurden bei der aufsuchenden Arbeit 218 Frauen erreicht, 59 Frauen wurden intensiv sozialarbeiterisch begleitet, häufig über Monate. Aktuell arbeiten noch zwei Mitarbeiterinnen bei TAMAR im Münsterland.

Die Corona-Pandemie hat große Auswirkungen auf die Arbeit von Prostituierten. Merken Sie das in Ihrer Beratung?

Birgit Reiche: Seit dem 16. März haben Prostituierte ein Arbeitsverbot, die Clubs sind geschlossen. Da sie keine Einnahmemöglichkeiten mehr haben, haben viele der Frauen existentielle finanzielle Not. Sie sprechen vielfach die deutsche Sprache nicht ausreichend, kennen ihre Rechte nicht und sind mit Antragstellungen überfordert. Mit ihren Problemen haben sich auch viele neue Klientinnen an Tamar gewandt. Viele andere Beratungsstellen und Ämter haben ihre Beratungszeiten eingeschränkt oder waren ganz geschlossen. Unsere Mitarbeiterinnen haben die Klientinnen telefonisch beraten, haben sich aber auch mit ihnen getroffen – unter Wahrung der Hygienestandards. Weil auch Cafés geschlossen waren, haben wir einen Campingtisch und Klappstühle angeschafft. Die Beratung und das Ausfüllen von Dokumenten und Formularen fanden draußen auf dem Feld, am Waldesrand und auf Parkbänken statt. Not macht erfinderisch.

Hintergrund
TAMAR Münsterland bietet Prostituierten- und Ausstiegsberatung an in den Kreisen Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf sowie der Stadt Münster. Die Mitarbeiterinnen suchen Frauen auf, die in Clubs, Bars, Appartements, Wohnungen, Wohnwagen und Kneipen sexuelle Dienstleistungen anbieten. Beratung und Begleitung in allen Problemlagen können an die aufsuchende Arbeit anschließen. Ort und Zeit der Beratung werden von den Bedürfnissen der Klientinnen bestimmt. Um auch Beratung in einer vertraulichen Atmosphäre in abgelegenen Ortschaften durchführen zu können, gibt es einen Beratungsbus, darüber hinaus gibt es ein Büro in Soest.
Die Sozialarbeit von TAMAR begleitet Klientinnen als Lotsin im Hilfesystem in der Region.