In Freiheit zu glauben, mutig und gemeinschaftlich wohltuende Wege gelebten Christseins zu finden, das Feuer, das begeistert, zu einem beständigen Licht auf dem Weg werden zu lassen, einer Kirche, die sich als Gemeinschaft aller Gott- und Christussuchenden versteht, ein Gesicht zu geben – von diesem Geist wurde die Veranstaltung „Dranbleiben. Christsein in einer reformoffenen Kirche“ getragen, zu der die Ev. Erwachsenenbildung Steinfurt-Coesfeld-Borken, die ev. Gemeinde Dülmen und die kath. Gemeinde St. Pankratius Dülmen-Buldern am Reformationstag 2021 eingeladen haben, – ein starkes Zeichen beherzter Ökumene vor Ort und aller Teilnehmenden.
Die Andacht zu Beginn der Veranstaltung beschrieb mit dem alttestamentlichen Propheten Haggai das Bild der Wohnstätte Gottes, des Tempels wie der Kirche, als ein sehr dynamisches. Nicht nur zu Haggais Zeiten im 6. Jahrhundert v. Chr., sondern fortwährend bis in die Gegenwart hinein bedarf es nicht nur der Renovierung, sondern des Neubaus einer Kirche, die sich als Wohnstätte Gottes versteht, in der der Mensch atmen kann, Zuspruch erfährt und sich im Angesicht Gottes entfalten kann. Der Prophet empfahl dafür geeignetes Material, das Bewusstsein dafür, dass Gott selbst es ist, für den alle Anstrengungen unternommen werden und die Mithilfe aller, die in dieser Wohnstätte zusammenkommen möchten – ein klares und ermutigendes Bild für den Neubau der Kirche.
Zwei Workshops, die zentrale Themen einer zukunftsfähigen Kirche ins Wort fassten, schlossen sich an: Abendmahl und Eucharistie – Die Bedeutung eines gemeinsamen Mahles für das Handeln der Christen in der Welt. Pfarrerin Susanne Falcke und Pfarrer Ferdinand Hempelmann leiteten diesen Workshop. Wie kann es gelingen, gemeinsam am Tisch Jesu Brot und Wein zu teilen? Der Schmerz über die getrennte Christenheit ist an dieser Frage besonders spürbar. Und doch: Ist eine Einheit tatsächlich zu denken angesichts kontroverser theologischer Diskussionen und Positionen aus einer 500-jährigen Trennungsgeschichte? Die Gruppe sprach intensiv über das Dokument „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ (11. September 2019), das vom Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen erarbeitet wurde und die wechselseitige Anerkennung der Taufe unter den Konfessionen als entscheidendes verbindendes Element aller Christen untereinander betont. Einer gegenseitigen Einladung zur Teilnahme an Eucharistie und Abendmahl stünde theologisch nichts mehr im Wege. Amtskirchlich wird dies anders gesehen. Darunter leiden alle, die sich mit Leidenschaft und aus theologischer Überzeugung für eine versöhnte Christenheit engagieren, Gemeindemitglieder wie Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Priester gleichermaßen. Die Sehnsucht nach Überwindung von Trennung, nach Einheit und Versöhnung, Einladung, Zuspruch, gegenseitiger Wertschätzung und gemeinsamer Jüngerschaft am Tisch des Herrn bleibt groß.
Im zweiten Workshop „Christsein im Zuspruch des Priestertums aller Gläubigen. Kirchenvisionen jenseits von Gemeinde- und Konfessionszugehörigkeit“, kamen unter der Moderation von Bildungsreferentin Dr. Esther Brünenberg-Bußwolder zwei Modelle gelebten Christseins zur Diskussion, die sich nicht an feste Gemeindezugehörigkeiten knüpfen.
Birgit Brambrink stellte mit Leidenschaft und Engagement die Anliegen von Maria 2.0 vor, in deren gemeindeübergreifenden Gruppe in Dülmen sie aktiv ist. In ihrem und dem Statement ihrer Mitstreiterinnen, von denen einige zum Workshop gekommen waren, wurde deutlich, dass sie sich nicht allein für eine Reform enggeführter kirchlicher Strukturen und für die Vielfalt gelebter Sexualität sowie den Zugang der Frauen zu allen Weiheämtern in der kath. Kirche einsetzen, sondern dass dieses Engagement ihr Selbstverständnis als Christin und ihren Glauben zutiefst berührt. Gerade deshalb wünscht sich die Gruppe eine sicht- und erfahrbare Veränderung der Anerkennung und Gleichberechtigung der Geschlechter in der Kirche im Angesicht Gottes.
Annabelle Mbouna aus der ev. Gemeinde Dülmen hingegen schien sich an kirchlichen Strukturen wenig zu reiben, sondern führte die interessiert Zuhörenden an individuellen Zugängen und persönlichen Lebenswegstationen leidenschaftlich vor Augen, wie zentral eine lebendige Gottesbeziehung des einzelnen ist, wie grundlegend das Gebet und das Gespräch mit den Menschen über das, was im Innersten bewegt. Sie erzählte, wie es gelingen kann, unterschiedliche Spiritualitäten, wie sie sie lutherisch und freikirchlich erlebt hat, zusammenzubringen und auch digital Menschen zu finden, eine Gemeinschaft des Glaubens zu leben. Diese Sehnsucht war in dem Workshop bei vielen Teilnehmenden zu spüren, eine Gemeinschaft von Menschen zu finden, die begeistert sind von der Botschaft Jesu, diesen Glauben aus dem Zuspruch Gottes gemeinsam zu leben, zu feiern, zu verkünden und füreinander da zu sein – entspricht das nicht den Grundvollzügen einer christlichen Kirche in Martyria, Liturgia, Diakonia und Koinonia?
Die Mitte des Veranstaltungstages markierte ein ökumenischer Gottesdienst in der liturgischen Leitung von Pfarrerin Susanne Falcke und Pfarrer Ferdinand Hempelmann, der am Ringen Jakobs am Jabbok (Gen 32,23-33) die Sehnsucht des Menschen nach Einheit, Gemeinschaft und Gottesnähe deutlich machte. Jakob ist es, der um den Segen ringt, mehrfach, schillernd in seinem Handeln, schwierig in seiner Persönlichkeit, mit den Menschen im Kampf, am Ende mit Gott. Aus dem Kampf geht er verändert hervor, mit neuem Namen und: gesegnet – wenn auch abgerungen. Die Versöhnung mit dem Bruder Esau gelingt erst danach. Zunächst geht es um die Auseinandersetzung, das Ringen mit Gott selbst und mir selbst, auch als Konfession. Versöhnung gelingt über errungenen Segen – und bleibend gezeichnet aus dem Kampf. Mit Emotion und Motivation, Plädoyer und Demut, Segens- und Zukunftssehnsucht für ein gestärktes, gemeinsam gelebtes und gefeiertes Christentum wird dieser Gottesdienst der mitfeiernden Gemeinde Quelle und Bestärkung in ihrem Wunsch nach gemeinsamer christlicher Beheimatung sein.
„Dranbleiben!“ – der Titel der ökumenischen Veranstaltung war inspiriert durch das jüngst erschienene Buch des Ahauser Pfarrers Stefan Jürgens „Dranbleiben. Glauben mit und trotz der Kirche“. Den Abschluss der Veranstaltung und zugleich einen neuen Ausblick ermutigt Christsein zu wagen und dranzublieben bildete seine dialogisch-musikalische Lesung. Zwei seiner Bücher standen im Mittelpunkt des Abends: „Von der Magie zur Mystik. Der Weg zur Freiheit im Glauben“ und „Dranbleiben! Glauben trotz und mit der Kirche“. Gebannt nahmen die knapp 70 Teilnehmenden Anteil an seiner Ermutigung zur Freiheit im Denken, zur Freude am Glauben und zur Befreiung von Angst. Viele waren berührt und fühlten sich bestärkt, neue Vergemeinschaftungen zu wagen, zu denen Pfarrer Stefan Jürgens ausdrücklich ermuntert hat, denn Christsein ist von jeher communio, Gemeinschaft. Mit einer Reihe eindrucksvoll interpretierter Lieder von Manfred Siebald hielt er mit Gitarre und Gesang den Himmel für die Teilnehmenden musikalisch offen – zugleich als Gebet. Auch der Humor kam nicht zu kurz. Manch auszuhaltende Realität dürfte so in einen Akt der Freiheit münden. Dass sich Pfarrer Stefan Jürgens als „evangelischer Katholik“ vorstellte, freute die Veranstalter sehr. „Im Grund genommen sind alle Christen evangelisch, und alle sind katholisch“, schreibt er in seinem Buch. Warum das so ist, und wie es gelingen kann dranzubleiben am Geschenk des Glaubens und des Christseins, lesen Sie gern selbst!
Esther Brünenberg-Bußwolder