Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken Pressemitteilung

„Christlicher Glaube hat immer etwas zu tun mit den Menschen – nicht nur sonntags!“

Im Stadtteilzentrum GroW in Gronau diskutiert der Gelsenkirchener Pfarrer Dr. Rolf Heinrich über die Rolle von Kirche in der Dorf- und Stadtentwicklung.

Pfarrer Dr. Rolf Heinrich (Mitte) berichtete jetzt im Gronauer Stadtteilzentrum „GroW“ vom Projekt „Leben in Hassel“. Im „GroW – Mein Gronauer Westen“ erkennt der Theologe viele Parallelen zu dem Vorzeigeprojekt in Gelsenkirchen.

Zahlreiche Menschen versammeln sich 1961 in Gelsenkirchen-Hassel. Die Freude ist groß über das neue evangelische Gemeindezentrum samt Kirche im Norden des Ruhrgebiets. Von Aufbruch ist die Rede, während Bürgermeister, Kirchengemeinde und Nachbarn die neuen Bauten eröffnen. Heute, über 50 Jahre später, ist das Stadtbild in Gelsenkirchen ein anderes: Zechen gibt es keine mehr. Häuser stehen leer. Experten sprechen vom Strukturwandel. Und die Evangelische Lukas-Kirchengemeinde in Hassel denkt aufgrund rückläufiger Finanzmittel über den Abriss ihrer Kirchenbauten nach. Anstatt die Köpfe in den Sand zu stecken, suchen die evangelischen Christen im Rahmen des bundesweiten Förderprojekts „Kirche findet Stadt“ nach Partnern im Viertel, in der Kommune und in der Wirtschaft. Gemeinsam wollen sie aus den Kirchenbauten ein Stadtteilzentrum für Jedermann errichten. In Gronau berichtete Pfarrer im Ruhestand Dr. Rolf Heinrich jetzt auf Einladung der Männerarbeit im Evangelischen Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken von dem erfolgreichen Umdenken. Die Bürgerstiftung „Leben in Hassel“, deren Vorsitzender Heinrich ist, gilt heute auf dem Weg zu einem überkonfessionellen, interkulturellen Stadtteilzentrum als bundesweites Vorzeigeprojekt für eine moderne Quartiersplanung im Schnittfeld von Kirche, Kommune und Unternehmen.

„Früher erlebten wir viele Kirchen als Orte der Begegnung im Herzen unserer Städte und Gemeinden“, sagt Heinrich vor rund 20 Zuhörern im Stadtteilzentrum „GroW – Mein Gronauer Westen“. „Das finden wir heute so kaum mehr vor“. Um den vom Abriss bedrohten Kirchenbauten im Gelsenkirchener Stadtteil Hassel eine Perspektive zu geben, berichtet der einstige Gemeindepfarrer, habe es eines Bewusstseinswandels bedurft. „Wir haben entdeckt, was Menschen verschiedener Kulturen, Religionen, verschiedener Generationen und unterschiedlicher politischer Überzeugungen verbinden kann, ohne dass sie dabei ihre unterschiedlichen Traditionen und Prägungen aufgeben: Die alltäglichen Probleme der Menschen", so Heinrich weiter. Daher habe die Kirchengemeinde nicht nach der Zukunft der Lukas-Kirche oder des Dietrich-Bonhoeffer-Hauses gefragt, sondern nach den Wünschen und Nöten der Menschen im Viertel – unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrer Nationalität. Stadtplaner nennen das eine „narrative Sozialraumanalyse“. Aus der Idee entstand eine Zukunftswerkstatt im Quartier. Die Bürgerinnen und Bürger wünschten sich weitere Kindergartenplätze für den Nachwuchs, fragten nach einem gemeinsamen Ort der Begegnung sowie nach Ausbildungsplätzen für Jugendliche.

Evangelisches Gemeindehaus weicht einem interkulturellen Stadtteilzentrum

Nach einem rund zehnjährigen Planungs- und Diskussionsprozess entsteht heute in Trägerschaft der 2011 gegründeten Bürgerstiftung „Leben in Hassel“ aus dem Gemeindehaus ein offenes Stadtteilzentrum. Das Vorhaben gilt im Rahmen des ökumenischen Förderprogramms „Kirche findet Stadt“ als Modellprojekt. Neben der Kirchengemeinde beteiligen sich Anwohner, Kommune, Vereine und weitere Glaubensgemeinschaften sowie Unternehmen im Stadtteil an dem Bauvorhaben. Über 120.000 Euro Stiftungskapital haben sie mittlerweile zusammengetragen. Nach einem Architekturwettbewerb entsteht in dem einstigen Gemeindehaus ab August 2013 eine Restauration mit Mittagstisch für Kindergärten und Schulen als zentraler Marktplatz. In Kooperation mit ortsansässigen Unternehmen eröffnet eine Fahrradwerkstatt, in der junge Erwachsene ausgebildet werden. Das Diakonische Werk wird mit seinen Beratungsangeboten in das Stadtteilzentrum einziehen. Zudem entstehen neben einem evangelischen Kindergarten ein Haus der offenen Tür für Jugendliche, Räumlichkeiten für Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie ein interreligiöser Kirchraum für Andachten und Gottesdienste. „Wir haben festgestellt, dass wir als Evangelische Kirche diese Angebote nicht alleine tragen können“, sagt Heinrich in Gronau. Längst habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass moderne Stadtteilarbeit und -entwicklung verschiedenste Einrichtungen aber auch Politik und Wirtschaft integrieren müsse.

„Dieses tolle Beispiel aus Gelsenkirchen-Hassel ist dem Münsterland viel näher, als manche vielleicht denken würden“, schließt Uwe Hartmeier, Referent für Männerarbeit im Evangelischen Kirchenkreis, die aufschlussreiche Runde im „GroW“. So stünden langfristig auch viele Kirchengemeinden im Münsterland vor der Frage, welche Alternativen es zu Baggern und Abrissbirne gibt. Auf diesem Wege könne die Kirche eine neue Form des Teilens und der Teilhabe erlernen. Schließlich ginge es stets um die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen am Ort. Insofern sei das Modellprojekt „Leben in Hassel“ allemal übertragbar auf das Westmünsterland. „Und das Projekt macht Mut, stets zuversichtlich nach vorne zu schauen“, ergänzt Joachim Anicker, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken. Zu der Diskussion hatte die Männerarbeit in Kooperation mit dem Diakonischen Werk, dem Frauenreferat im Kirchenkreis sowie der Evangelischen Jugend in das Gronauer Stadtteilzentrum „GroW“ eingeladen. 

www.lebeninhassel.de