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Unbezahlbar – und trotzdem ignoriert: Die Arbeit von Frauen

Evangelische Frauenhilfe bezieht Stellung

Geschäftsführerin Pfarrerin Birgit Reiche. Foto: EFHiW

In den vergangenen Wochen forderten führende Stimmen aus Politik und Wirtschaft, dass „wir“ in Deutschland mehr arbeiten müssten. Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen (EFHiW) hält dagegen: Es werde bereits viel gearbeitet – oft unbezahlt, ungleich verteilt und gesellschaftlich kaum gewürdigt. Geschäftsführerin Pfarrerin Birgit Reiche kritisiert: „Diese Forderungen blenden strukturelle Ungleichheiten aus und dienen eher der Verteidigung eines einseitigen Wohlstandsbegriffs als echten gesellschaftlichen Lösungen.“

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann rief zum „Anpacken“ auf, Kanzleramtsminister Thorsten Frei warnte vor übermäßiger Work-Life-Balance, und Friedrich Merz erklärte, mit einer Vier-Tage-Woche lasse sich der Wohlstand nicht halten. Auch der Arbeitgeberpräsident forderte längere Wochenarbeitszeiten, unter Verweis auf ein angeblich sinkendes Effizienzniveau. Zudem sollen Rentner*innen weiterarbeiten, Frauen aus der Teilzeit in Vollzeit wechseln und jüngere Generationen mehr leisten.
Als Begründung dienen der Erhalt des Wohlstands, eine „gesellschaftliche Pflicht“ und der demografische Wandel. Doch diese Argumente greifen zu kurz und beruhen oft auf falschen oder verzerrten Annahmen – darauf weist die EFHiW hin.

So sei es ein Irrtum, dass „die Deutschen zu wenig arbeiten“: 2023 wurden so viele Arbeitsstunden geleistet wie seit der Wiedervereinigung nicht – darunter 1,3 Milliarden Überstunden, davon die Hälfte unbezahlt. Teilzeitbeschäftigte, überwiegend Frauen, leisten zusätzlich jährlich 72 Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit. Rechnet man Erwerbs- und Sorgearbeit zusammen, ergibt sich eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 44,5 Stunden – rund 25 davon ohne Entlohnung.
Auch der Vorwurf gegenüber der Generation Z sei unbegründet: Ihre Erwerbsbeteiligung ist so hoch wie seit 30 Jahren nicht. Gleichzeitig wird Ehrenamt oft ignoriert: Allein in NRW leisten Freiwillige jährlich 700 Millionen unbezahlte Arbeitsstunden, die wesentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen.
Die Produktivität, so die EFHiW, ist seit Jahrzehnten gestiegen – stagniert ist dagegen die Entlohnung. Und auch die viel kritisierte Vier-Tage-Woche zeigt laut Studien: Sie steigert Zufriedenheit und Produktivität. Der propagierte „Wohlstand“ meint häufig nur den der Vermögenden, die Gewinne privatisieren, Risiken aber sozialisieren.

„Wer mehr Arbeit fordert, sollte auch anerkennen, was längst geleistet wird – vor allem von Frauen“, stellt Angelika Waldheuer, Vorsitzende der EFHiW klar.  „Unbezahlte Sorgearbeit, freiwilliges Engagement und soziale Verantwortung sind tragende Säulen unserer Gesellschaft. Es braucht eine Arbeitsdebatte, die hinsieht, statt Schuld zuzuweisen – und die endlich anerkennt, dass nicht alles, was zählt, bezahlt wird.“