Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken

Opfer geistlich-spirituellen Missbrauchs nicht allein lassen

Online-Vortrag, Workshops und Begegnungen beleuchteten Ursachen, Folgen, Präventionsmöglichkeiten und Therapie

Referentin Dr. Hannah A. Schulz (Foto: Screenshot/Rainer Nix).

Pfarrerin Dagmar Spelsberg-Sühling leitete den Workshop „We become like the God we adore” (Foto: Screenshot/Rainer Nix).

Der Begriff „Missbrauch“ wird geradezu automatisch in einen sexuellen Kontext gestellt. Dass es nur die Spitze des Eisbergs ist, machte Dr. phil. Hannah A. Schulz, systemische Supervisorin und Therapeutin in Köln sowie ignatianische Begleiterin und Referentin im In- und Ausland, jetzt deutlich. Emotionaler Missbrauch, erläuterte die Therapeutin, komme noch weitaus häufiger vor als körperliche Gewalt. 

Der Arbeitskreis Spiritualität in Therapie, Beratung und Pflege des Ev. Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken, das Diakonische Werk, die Ev. Erwachsenenbildung und das Psychotherapeutennetzwerk Münster und Münsterland luden online zu Vortrag, Workshops und Begegnungen ein. An dem interdisziplinären Tag für Interessierte und Fachleute nahmen unter anderen Pfarrer*innen, Ärzt*innen und kirchliche Mitarbeiter*innen teil. 

Die Definition des Begriffs „Missbrauch“ von Schwester Dr. Katharina Kluitmann, Provinzoberin der Franziskanerinnen in Lüdinghausen und erfahrene psychologische Begleiterin, machte allgemeinverständlich deutlich, was gemeint ist: „Geistlicher Missbrauch ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen emotionalen Missbrauchs und Machtmissbrauchs im Kontext geistlichen, religiösen Lebens. Sowohl im Bereich einzelner geistlicher Begleitung als auch im Bereich von Gemeinschaften.“ 

Geistlicher Missbrauch geschieht in missbräuchlichen Systemen, oft über einen längeren Zeitraum, er wird nicht wahrgenommen oder verschleiert. „Eine entscheidende Frage ist, inwieweit christliche Spiritualität benutzt wird, um Missbrauchsstrukturen zu erhalten und zu untermauern“, machte Schulz deutlich. Emotional werde oftmals ohne jeden Skrupel manipuliert: „Wer nicht gehorcht, öffnet sich dem Einfluss des Bösen“, „Dies ist meine Hirtenpflicht für dich, damit will ich dich vor dem Bösen bewahren“ oder „Gott hat mir im Gebet gezeigt, dass du diesen Mann/diese Frau nicht heiraten sollst“ – all das sind Beispiele manipulativer Aussagen unter frommem Deckmantel. Letztlich dienen sie dem Ausbau der Macht des Täters über sein Opfer. 

Oft ist es schwierig, geistlich-spirituellen Missbrauch deutlich zu erkennen und klar in Worte zu fassen. „Die Personen sind nicht in allen Lebensvollzügen Täter oder Opfer, sondern übernehmen diese Rollen in bestimmten systemischen Zusammenhängen“, führte die Therapeutin aus. Es komme durchaus vor, dass dieselbe Person in einem Kontext als Opfer fungiere und in einem anderen selbst zum Täter oder zur Täterin werde. Die Täter*innen müssten nicht einmal eine böse Absicht haben, es reiche, dass sie egoistisch sind und manchmal unbewusst andere manipulierten. Pfarrer und andere Akteur*innen im kirchlichen Umfeld sind für manche Menschen charismatische Personen, die nicht selten bewundert werden. Dass sie auch Fehler begehen könnten, ist in den Denkmustern Betroffener oft nicht präsent. „Bedeutsam ist deshalb die Bereitschaft, Handlungen kritisch zu hinterfragen“, sagt Supervisorin Schulz.  

Missbrauchsopfer müssen wieder Vertrauen in andere Menschen entwickeln, oft ist Ihnen das ein großes Anliegen. Betroffene müssen aber auch wieder befähigt und ermutigt werden, ihren eigenen Gefühlen, Wünschen und Wahrnehmungen zu trauen. Ohne Begleitung und Aufarbeitung werden sie möglicherweise selbst zu Tätern, manchmal ohne das zu durchschauen. 

Dr. Hannah A. Schulz, Diplom-Theologin Monika Schmelter, Psychotherapeutin Rita Linnenbank und Pfarrerin sowie Kontemplationslehrerin Dagmar Spelsberg-Sühling beleuchteten das Thema geistlichen Missbrauchs in Workshops aus verschiedenen Blickpunkten. „Ich zeige auf, wie Gottes- und Glaubensbilder sozial und institutionell bewusst oder unbewusst vermittelt werden“, so Spelsberg-Sühling. „Christliche Gottesbilder geben einen Rahmen vor durch die Geschichten der Bibel“, betonte die Pfarrerin, „sie müssen sich daran messen lassen, ob sie die Freiheit des Menschen und seine Entfaltung sowie ein gelingendes soziales Miteinander ermöglichen.

Rainer Nix