„Du bist ja bescheuert“, schallt es Esther Sofia entgegen, als sie ihren Freunden, Bekannten und Mitschülern vom Ökumenischen Klimapilgerweg nach Paris erzählt. „Und dann wollte ich da auch noch mitlaufen“, schmunzelt die 18-Jährige kopfschüttelnd. Schließlich meldete sich die Drensteinfurterin spontan zu der europaweiten Klimakampagne der evangelische und die katholische Kirche, von Entwicklungsdiensten und Naturschutzverbänden an.
Mit über 50 „Klimaaktivisten“ macht sich die Pfadfinderin auf traditionellen Pilgerrouten prompt auf den Weg nach Paris. In der französischen Hauptstadt verhandeln Ende November die Staats- und Regierungschefs anlässlich der 21. UN-Klimakonferenz über eine internationale Nachfolgevereinbarung für das Kyoto-Protokoll. Im Vorfeld der Konferenz verbindet der Ökumenische Klimapilgerweg unter der Überschrift „Geht doch!“ spirituelle Besinnung mit politischem Engagement.
„Heute ist es mein zweiter Tag und ich unterstütze den Klimapilgerweg noch bis ins Ruhrgebiet“, erzählt die evangelische Pfadfinderin. In Saerbeck im nordöstlichen Zipfel des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken kehrt Esther Sofia mit weiteren 50 Klimapilgern auf ihrem Weg nach Paris ein. In der 7.000 Einwohner zählenden Gemeinde erkundigen sich die Klimapilger über Idee und Konzept der NRW-Klimakommune. Bei launigem Regenwetter Mitte Oktober ist Esther Sofia mittlerweile stolz auf ihre Entscheidung, für verbindliche Klimaschutzziele zu pilgern.
Gemeinsam mit ihren Weggefährten Meike (22), Celine (18), Jakobus (15) und dessen Vater Benedikt (50) eint sie der Wille, sich aktiv für einen verantwortungsvollen Ressourcenverbrauch und ein nachhaltiges Wirtschaften, schlicht für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Damit stimmen die jungen Aktivisten letztlich mit den Füßen ab und gucken den politisch Handelnden in Paris auf die Finger.
Es sind vielfältige Motive, welche die Menschen aus der gesamten Republik trotz Regen und Kälte auf die Straßen und Pilgerwege ziehen. Für Esther Sofia und ihre Freunde stehen die direkte Beteiligung an der großen Politik und das Gefühl, aktiv etwas bewirken zu können, im Vordergrund. Gabi Raschke aus Recke treiben dagegen die eigenen Kinder an. „Wir können nicht leugnen: wir tragen mit unserem Konsum und unserem Verbrauch stets auch Verantwortung für die nachkommenden Generationen“, so die katholische Christin. „Ich habe mich für meine Kinder auf den Weg gemacht“, ergänzt ein weiterer Pilger.
In Saerbeck beziehen die Klimapilger auf ihrem Weg durch das Münsterland Quartier in einer NRW-Klimakommune. In der Gemeinde im Herzen des Kreises Steinfurt erfahren die kirchlichen Aktivisten von Bürgermeister Wilfried Roos von dem gemeinsamen Vorhaben von Bürgern und Kommunalpolitik, bis 2030 energieautark zu leben und zu arbeiten.
Seit 2008 setzten die Einwohner der ländlichen Gemeinde annähernd 150 Einzelprojekte für den lokalen Klimaschutz um. Heute gilt die Kommune als Vorreiter und Vorbild auf dem Wege zu einer nachhaltigen Dorfgemeinschaft. Gemeinsam mit Joachim Anicker, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken, erkunden die Klimapilger den Bioenergiepark und die Gläserne Heizzentrale. Nicht zuletzt dank eines breiten bürgerschaftlichen Engagements betreibt die Gemeinde auf dem Areal eines ehemaligen Bundeswehr-Munitionsdepots heute Nordrhein-Westfalens zweitgrößte Photovoltaikanlage, sieben moderne Windkraftanlagen sowie eine Anlage zur Erzeugung von Biomasse.
Sichtlich beeindruckt zeigen sich zahlreiche Pilger von dem Engagement der münsterländischen Gemeinde. Aber auch die Gastfreundschaft der katholischen Pfarrgemeinde St. Georg sowie der Evangelischen Kirchengemeinde Emsdetten kommen gut an bei den „Klimaaktivisten“. Doch bis Paris ist es noch ein weiter Weg: So liegen noch über 750 Kilometer zwischen Saerbeck und der französischen Hauptstadt. Über traditionelle Pilgerwege treffen am 28. November während der UN-Klimakonferenz Pilger und Aktivisten aus der ganzen Welt zu einer ökumenischen Abschlussveranstaltung zusammen.
Die Schirmherrschaft für den Klima-Pilgerweg haben der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Karin Kortmann, und Erzbischof Ludwig Schick, Vorsitzender der Kommissi-on Weltkirche der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, übernommen.