„Wer bin ich – und was macht mich aus?“ Mit dieser Frage eröffnete Katrin Ring die Andacht zur Pfarrkonferenz des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken am 25. Juni 2025. Sie erinnerte daran, dass Identitätsfragen nicht nur Jugendliche auf Schulhöfen beschäftigten, sondern Menschen in allen Lebensphasen – insbesondere dann, wenn sich Lebensumstände stark verändern. „Gerade wenn geliebte Menschen sterben, fragen wir uns: Wer sind wir? Und: Wer ist dieser Mensch – etwa, wenn er an Demenz erkrankt?“ Identität sei nicht einfach über äußere Merkmale zu bestimmen. „Das Ewige, das was uns ausmacht, ist bei Gott.“
Im Hauptvortrag von Prof. Dr. Traugott Roser (Universität Münster) stand die Frage im Mittelpunkt, wie eng Identität mit der gewählten oder gelebten Lebensform verknüpft ist. Oft werde die eigene Lebensweise als „wahr“ empfunden – mit der Folge, dass andere Lebensformen als Bedrohung erlebt würden. Roser griff Gedanken des Philosophen Wilhelm Schmid auf: Die Angst vor dem „Unwahren“ könne Menschen dazu verleiten, andere Lebensmodelle abzuwerten.
Historisch seien bestimmte Lebensformen innerhalb der Kirche klar vorgeschrieben gewesen – so zum Beispiel das Zölibat für katholische Priester oder die bis in die 1960er Jahre geltende Regel, dass evangelische Pfarrerinnen und Religionslehrerinnen ihren Beruf aufgeben mussten, wenn sie heirateten. Heute seien vielfältige Lebensformen möglich. „Wir leben in Mischformen“, so Roser.
Einen besonderen Fokus legte Roser auf das Thema sexuelle Identität und queere Lebensrealitäten im kirchlichen Raum. Das DFG-Projekt „Queer im Pfarrhaus“, an dem er beteiligt war, beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie eine queersensible Kirche aussehen kann und welche Lebensformen im Pfarrhaus existieren – jenseits des klassischen heterosexuellen Ehemodells?
In sieben Themenbereichen zeigt das Forschungsprojekt auf, wie Kirche queere Perspektiven stärker einbeziehen kann: von Seelsorge zwischen Pastoralmacht und Queersensibilität über Gottesdienste von, für und mit queeren Menschen, bis hin zu autobiografischen Erfahrungen von Personen, die früher aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht in den Pfarrberuf gehen konnten.
Ein weiterer Aspekt: der Coming-out-Prozess, verstanden als lebenslanger Weg in einer heteronormativen Gesellschaft. Roser erinnerte an das Coming-out-Modell von Vivienne Cass, das über Phasen wie Entfremdung, Suche nach Zugehörigkeit und schließlich Stolz zur Annahme der eigenen Identität führt. Heute spreche man eher von Meilensteinen. Wichtig sei: Coming-out geschehe nicht einmalig, sondern immer wieder – etwa bei jedem Jobwechsel oder Umzug.
Was braucht es, damit Kirche ein safe space für queere Menschen wird? Roser: „Zunächst braucht es die Erlaubnis, über das Thema Sexualität überhaupt sprechen zu dürfen – in Predigten, in Fürbitten, z. B. wenn der CSD stattfindet.“ Kirche müsse Ansprechpartner:innen benennen, queersensible Seelsorge etablieren und Räume sichtbar als offen kennzeichnen – etwa durch das Hissen der Regenbogenfahne oder das Angebot von Unisex-Toiletten.
Auch für die Konfirmandenarbeit gebe es große Potenziale: Hier könne Identität zur Sprache kommen, in einem geschützten Rahmen, innerhalb der Peergroup. Kasualien sollten queersensibel gestaltet sein – nicht nur bei Trauungen oder Taufen in Regenbogenfamilien, sondern auch bei Namenszeremonien nach einer Transition oder bei Bestattungen: „Wie wird jemand erinnert? War die Person geoutet?“
Zum Abschluss stellten Katrin und Thomas Ring ihre Arbeit als Beauftragte für queersensible Seelsorge im Kirchenkreis vor. Das Wichtigste, so betonten sie, sei es, Ansprechpersonen für alle Arten von Fragen aus den Gemeinden zu sein. Und: Sichtbarkeit zähle. „Die Fahne aushängen, Unisex-Toiletten anbieten – das zeigt: Hier seid ihr willkommen.“