Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken Pressemitteilung

„Hinterlasse keine offenen Baustellen“

Abschiedsinterview mit Superintendent Joachim Anicker

Joachim Anicker vor seinem Dienstsitz in Burgsteinfurt

Nach 17 Jahren als Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld Borken geht Joachim Anicker zum Ende des Jahres in den Ruhestand. In einem Abschiedsinterview spricht er über gelungene Entwicklungen, Herausforderungen im Amt und die Zeit, die nun vor ihm liegt.


Wenn Sie heute an Ihre Anfangszeit als Superintendent zurückblicken: Inwiefern hat sich die Arbeit innerhalb der letzten 17 Jahre verändert?
Das System unserer Kirche ist viel durchlässiger geworden. Früher existierten die Kirchengemeinden isoliert nebeneinander, jeder Kirchenkreis arbeitete für sich – heute organisieren wir uns „grenzüberschreitend“ – wir wissen mehr voneinander und wir gestalten mehr miteinander. Zu Beginn meiner Amtszeit standen wir plötzlich vor der Notwendigkeit, den kirchlichen Rückbau in Angriff zu nehmen. Bis dahin fand immer noch Aufbau statt: neue Stellen wurden eingerichtet, neue Gemeindehäuser eröffnet. Wir haben vor 17 Jahren gemerkt, dass sich die Grundsituation ändert und wir umsteuern müssen: strukturiert zurückbauen, um mit den Ressourcen auszukommen. Diese Herausforderung hat mich bis zum heutigen Tag begleitet.

Sie haben die Notwendigkeit des Rückbaus angesprochen. Wie muss sich die Institution Kirche verändern, um zukunftsfähig zu bleiben?
Wir tun gut daran, nochmal ganz neu hinzuschauen, was sich in der Gesellschaft und bei den Menschen geändert hat, wo heute Andockpunkte sind. Wenn die gewohnten Formen von Gottesdienst und Gemeindeleben nicht mehr tragen, lautet die Frage: Wie kommen wir als Kirche mit den Menschen in Kontakt, die wir nicht alle schon immer kennen? Wofür brauchen uns die Menschen? Und wenn wir uns von dem einen oder anderen Gebäude trennen müssen: Mit welchen Kooperationspartnern vor Ort könnten wir als Kirche vor Ort präsent bleiben, vielleicht überraschend anders als heute?

Was ist Ihnen in Ihrer Amtszeit gelungen und was ist missglückt?
Ich habe es so erlebt, dass wir in den Jahren der schmerzhaften Finanzdiskussionen am Ende von einer Kultur des Misstrauens von Kirchengemeinden gegen Kirchenkreis zu einer Kultur des gemeinsamen Gestaltens und Unterstützens gefunden haben. Ich erlebe die Gemeinschaft im Kirchenkreis stärker und konstruktiver als vor 17 Jahren; wir wissen mehr voneinander und wir kommunizieren viel intensiver miteinander.
Geglückt ist außerdem, dass wir den Umschwung geschafft haben, weil wir den Rückbau aktiv gestalten. Auch Umbauen ist ja Bauen und bringt Bewegung. Wir haben ein paar große wichtige Entscheidungen umgesetzt, z.B. die Gründung eines Trägerverbundes für unsere Kindertageseinrichtungen, die gemeinsame Verwaltung dreier Kirchenkreise in Münster, das gemeinsam Diakonische Werk mit dem Kirchenkreis Tecklenburg, die Bildung von verbindlichen Gemeinde-Nachbarschaften, die Erarbeitung institutioneller Schutzkonzepte gegen Missbrauch. Das waren große Entscheidungen mit jahrelangem Vorlauf. Die Entwicklung wird weitergehen, aber es sind für mich aktuell keine großen Baustellen offen.
Im Nachhinein nicht gelungen erscheint mir die Frage der Abgabe der Trägerschaft der Jugendbildungsstätte in Nordwalde. Der Diskussionsprozess war sehr zermürbend, da haben wir zu viel Energie reingesetzt, einschließlich grandios gescheiterter Versuche mit anderen Trägern. Weil mir „unsere Jubi“ am Herzen lag, hatte ich lange nicht den Mut, früher auf eine Entscheidung zu drängen. Es glückt bei solchen Fragen selten, alle Menschen mit auf den Weg zu nehmen.

Zu einem Leitungsamt gehört dazu, dass man auch mal unbequeme Entscheidungen treffen muss und es nicht immer allen recht machen kann. Wie sind Sie mit Situationen umgegangen, in denen der „Gegenwind“ auch mal stärker wurde?
Ein gutes Beispiel ist die Situation in den Kirchengemeinden, als es in den Jahren 2006-2008 erstmals darum ging, Pfarrstellen zu reduzieren. Ich habe versucht, möglichst viele Informationen weiterzugeben, so dass sich alle ein Bild der Realität machen konnten. Geholfen hat dann genaues Hören auf die entscheidenden Bedenken und Kritikpunkte und die Übergabe der Finanzsteuerung in die Gemeinden. Wichtig bei allen Entscheidungen sind natürlich der Kreissynodalvorstand und unsere Ausschüsse bis hin zur Kreissynode. Im Superintendentenamt trifft man keine einsamen Entscheidungen, sondern alles Wesentliche wird in gewählten Gremien abgestimmt, in denen die Betroffenen mitbestimmen. Das tut gut und verbessert die Ergebnisse.

Nach dem Ablauf Ihrer zweiten Amtszeit als Superintendent haben Sie sich bewusst entschieden, sich noch einmal für rund ein Jahr zur Wahl zu stellen, um die genannten wichtigen Übergangsprozesse zu begleiten. Übergeben Sie das Amt nun mit einem „ruhigen Gewissen“?
Ja! Für mich ist jetzt der ideale Zeitpunkt zum Ausscheiden. Die großen Themen mit teilweise jahrelangem Vorlauf sind abgeschlossen, und ich kann den Kirchenkreis guten Gewissens in andere Hände geben.

Was geben Sie Ihrer Amtsnachfolgerin Susanne Falcke mit auf den Weg?
Ich wünsche ihr, dass es ihr gelingt, den Kirchenkreis so weiterzuentwickeln, dass Kirchengemeinden und Kirchenkreis ihren Auftrag als Kirche auch in 10 Jahren gut erfüllen können. Und dass der notwendige Rückbau nicht in die Depression, sondern in ein gemeinsames Gestalten führt.

Was werden Sie vermissen, wenn Sie an Ihre Zeit als Superintendent zurückdenken?
Das Eingebundensein in Aufgaben, das Miteinander gestalten können, die täglichen Herausforderungen, das große Netzwerk der Kolleginnen und Kollegen im Kirchenkreis und in der Landeskirche, das wirklich erfreuliche Miteinander im Gestaltungsraum unserer drei Münsterland-Kirchenkreise – und viele nette und tolle Menschen.

Worauf freuen Sie sich jetzt im Ruhestand? Was fangen Sie mit der vielen freien Zeit an?

Ich freue mich darauf, die Last der Verantwortung abgeben zu können und Zeit für Privates zu haben – das ist sehr oft zu kurz gekommen. Ich habe mir vorgenommen, ein Ehrenamt neu anzufangen, das aber nichts mit der bisherigen Arbeit im Kirchenkreis zu tun hat. Im ersten Jahr meines Ruhestandes werde ich bewusst keine Aufgaben im jetzigen Arbeitsbereich übernehmen. Und ich habe meiner sechsjährigen Enkeltochter versprochen, mit ihr ein Puppenhaus zu bauen – darauf freue ich mich.

Wie werden Sie die Entwicklungen im Kirchenkreis weiterverfolgen?
Natürlich werde ich den Newsletter des Kirchenkreises abonnieren, den ich vor 17 Jahren selber auf den Weg gebracht habe, um über die Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben. Und ich hoffe, dass ich über den ein oder anderen Weggefährten erfahre, wie die Dinge weitergegangen sind.