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Ernsthafte Angebote auf Augenhöhe

Diplom-Sozialpädagogin Annette Dellwig von der Evangelischen Jugendbildungsstätte Nordwalde im Gespräch mit dem Evangelischen Kirchenkreis über die Hauptvorlage „Familien heute“ der westfälischen Landeskirche.

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Annette Dellwig (Foto: www.jubi-nordwalde.de)

Frau Dellwig, Sie gehören in unserem Kirchenkreis zu den Mitautoren der neuen Hauptvorlage „Familien heute“. In welchen Bereichen haben Sie an dem Impulspapier mitgearbeitet?

Meine Mitarbeit fand im Rahmen des Fachbeirats statt, der die Themenfelder Theologie, Gesellschaft, Familie stärken und Kirche bearbeitet hat. Ich habe in der Gruppe „Kirche“ mit diskutiert, Ideen zusammengetragen, Fragen formuliert und so an einem Teil einer Datensammlung mitgearbeitet. Die Hauptvorlage selber ist von einem Autorenteam, federführend von Albert Henz, dem theologischen Vizepräsidenten der Evangelischen Kirche von Westfalen, zu verantworten.
 
Die Hauptvorlage fragt nach Familienbildern in der Evangelischen Kirche. Wie erleben Sie Familie und Familienformen in der Evangelischen Kirche?

Beim Start zur Hauptvorlage „Familien heute“ haben wir im Beirat mit einer interaktiven Aktion begonnen. Alle sollten sich unterschiedlichen Familienformen zuordnen. Mir ist noch sehr gut ein Bild in Erinnerung: Es gab eine sehr große Gruppe von (verheirateten) Erwachsenen mit Kindern, der im Verhältnis eine winzige Gruppe von zwei Singles mit Kindern gegenüberstand. Ich unterstelle als eine mögliche Facette: Das Erlebnis dieser „Aufstellung“ bedeutete für die Singles das, was Minderheiten häufig erleben: gemessen am „Eigentlichen“ das nicht vollständige Leben zu repräsentieren, verbunden mit dem Gefühl, „nicht wirklich“ dazuzugehören. Das ist genau das, was Menschen die nicht in der klassischen Kleinfamilie leben, häufig in Kirche erleben. Damit will ich keine unterschiedlichen Lebensformen in Konkurrenz zueinander setzen, sondern mehr Aufmerksamkeit richten auf das was ist und was vielleicht anderen Mühe macht, sich in Kirche wohl zu fühlen. 

Die Konsequenz für mich ist, deutlich und unmissverständlich besonders auch die einzuladen und anzusprechen, von denen wir uns wünschen, dass sie dazugehören. Sie müssen spüren, dass sie gemeint sind und hinter der Einladung ein ernsthaftes Angebot „auf Augenhöhe“ steht. Gleichzeitig gehört in vielen kirchlichen Arbeitsfeldern die Arbeit mit  Menschen mit differenten Lebenshintergründen zur alltäglichen Praxis, denken Sie an unsere Kitas, an die Diakonie, an die Familienbildung oder die Jugendarbeit. Da habe ich dann den Eindruck, dass die Hauptvorlage einer bereits gängigen Praxis und gesellschaftlichen Entwicklung hinterherläuft. 

Trotzdem geraten viele Aspekte rund um das Thema Familie auch in Kirche immer wieder an den Rand der Diskussionen. So gibt es beispielsweise immer noch wenig Erfahrungsfelder mit Familien aus anderen Kulturkreisen, der oft unentgeltliche oder schlecht bezahlte Einsatz von Frauen in pflegerischen und fürsorgenden Bereichen gerät immer wieder aus dem Blickfeld und die Fragen hinter den Fragen beispielsweise nach Lebensweisen und -chancen im Kontext ökonomischer Vorgaben werden nicht gestellt, weil sie häufig schon als beantwortet gelten.

Seit rund 3 Monaten befindet sich die Hauptvorlage jetzt in Westfalen in der Diskussion. Wie erleben Sie diese Auseinandersetzung über Familienbilder in der Evangelischen Kirche?

Auf jeden Fall bereichernd. 

Ich bin derzeit häufig an innerkirchlichen Diskussionen beteiligt, die ich als ernst gemeinte Suche nach biblisch fundierten und lebensdienlich ausgerichteten Standorten erfahre. Die Hauptvorlage hat eine deutliche Unterscheidung zum bisherigen vorgenommen. Sie verortet Familie da, „wo Menschen dauerhaft und generationsübergreifend Menschen persönlich füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen“. 

Hier wurde ein Maßstab gesetzt, nach dem  die Lebensformen von einer christlichen Norm abweichen, in denen Fürsorge versagt wird und Verantwortung unzureichend wahrgenommen wird. Diese Definition finden viele Menschen, mit denen ich in meinem Arbeitszusammenhängen im Gespräch bin, als ich sehr hilfreich.

Ich bin davon überzeugt, dass die Beantwortung der Fragen nach gegenseitiger Verantwortung und Fürsorge die Schlüsselfrage der Zukunft ist. Im Evangelischen Bildungsprofil gibt es dafür Kriterien, die nicht beliebig sind. Es geht um Beziehungsbildung, Generationenverantwortung, Bildungsgerechtigkeit, familienfreundliche Arbeitsbedingungen, gerechte Einkommen, gesunde Lebenskonzepte und lebenspraktische Hilfen. 
In diesem Zusammenhang gehört in meinem Denken „Die Familie wird es schon machen!“ der Vergangenheit an. Heute geht es um den Aufbau systemischer Unterstützungssysteme, von denen Kirche immer auch nur ein Teil sein kann. Welcher Teil dies genau sein soll und welches konkrete Angebot dahintersteht, darum wird es zukünftig gehen. Genau vor diesem Hintergrund gibt es viele Herausforderungen. Dazu wünsche ich mir sowohl inner- als auch außerkirchlich einen gesellschaftlichen Diskurs, der nicht mit der Landessynode im Herbst aufhört. 

Danke für das Gespräch! Das Gespräch führte Daniel Cord.

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