Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken

Diskussion mit verschiedenen Blickwinkeln

Tagung „Sterben-Helfen“ befasste sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Die Beteiligten der Tagung: (v.l.) Anne Schneider (ev. Theologin), Dr. Nikolaus Schneider (ehemaliger EKD-Ratsvorsitzender und Altpräses der Ev. Kirche Rheinland), Pfarrerin Dagmar Spelsberg-Sühling (Fachbereich Spiritualität), Dr. Esther Brünenberg-Bußwolder (Erwachsennbildungsreferentin), Prof. Dr. Monika Bobbert (kath. Theologin und Sozialethikerin an der WWU Münster), Dr. Michael de Ridder (Internist und Sterbebegleiter aus Berlin), Franz-Josef Plesker (Leiter Kath. Bildungswerk Kreis Borken). (Fotos: Elvira Meisel-Kemper/Dr. Esther-Brünenberg-Bußwolder).

Prof. Dr. Monika Bobbert

Dr. Michael de Ridder

Anne Schneider

Dr. Nikolaus Schneider

Wolfgang Putz

„Sterben-Helfen“ lautete die Überschrift der Tagung in der Aula der Bischöflichen Canisius-Schule in Ahaus, die auch ebenso „Sterben-Leben“ übertitelt sein könnte. Vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Feburuar 2020 zum Paragraphen 217, wonach jeder Mensch das Recht hat, seinem Leben ein Ende zu setzen, auch mit Hilfe anderer. Dieses Recht bezieht sich auf alle Lebenssituationen. Damit wurde das Urteil des Jahres 2015, wonach assistierter Suizid verboten war, gekippt.

So klar, wie das neue Urteil und seine Begründung klingen, war es nicht in den Augen der Kirchen. Außerdem hat es Ärzte verunsichert, die ihr berufliches Ethos, Menschen zu heilen und zu retten, in Frage gestellt sahen. Ein Bündnis katholischer Träger sozialer Einrichtungen lehnte es mit einem Schreiben vom 23. Juni 2020 ab, denn sie halten an der Prävention von Suizid fest. Die Sterbehilfevereine begrüßten das Urteil.

Viele dieser Fragen und Unsicherheiten kamen in der Tagung in Ahaus zur Sprache, die vom Katholischen Bildungswerk Kreis Borken, der Evangelischen Erwachsenenbildung und dem Fachbereich Spiritualität, beides im Evangelischen Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken, ausgerichtet wurde. Am Büchertisch der Ahauser Buchhandlung „Lesezeit-Bücher & mehr“ konnten die Publikationen der Referent:innen erworben werden.

Fünf Impulsvorträge von Referent:innen aus verschiedenen Fachbereichen bereiteten die rund 50 Teilnehmer auf die Workshops und die abschließende Podiumsdiskussion vor, die von Franz-Josef Plesker (Katholisches Bildungswerk) geleitet wurde.

Prof. Dr. Monika Bobbert aus Münster ist katholische Theologin und Sozialethikerin an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Sie beleuchtete das Thema aus medizinisch-ethischer Perspektive. Einen Freitod wegen Liebeskummer akzeptierte sie nicht. Hausärzte seien nicht dafür ausgebildet, Depressivität zu erkennen. Anfragen zum Suizid ohne psychiatrische Diagnose seien für sie für ebenso bedenkenswert.

Dr. Michael de Ridder aus Berlin, Internist und Sterbebegleiter, kritisierte, dass der Lebensschutz dem Recht auf Selbstbestimmung mit diesem Gesetz nachgestellt sei. Lebensverlängerung durch die Medizin bedeuteten manchmal auch „grausame und extreme Leidenszustände“. Der Arzt werde mit seiner Entscheidung alleingelassen, ob er jemanden gegen sein Gewissen zum Suizid verhelfe oder nicht.

Dr. Nikolaus Schneider, evangelischer Theologe und ehemaliger Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, und seine Frau Anne äußerten in ihren Statements unterschiedliche Ansichten. Für Nikolaus Schneider stand fest, dass der Mensch nicht das Recht habe, sein Leben zu beenden. Das Recht habe nur Gott. Seine Frau Anne betonte die „Gottebenbildlichkeit des Menschen“, die es ihm erlaube, seine eigene Sterbephase in Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen zu verkürzen.

Für Wolfgang Putz, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter für Medizinrecht und Medizinethik aus München, war das Urteil die Bestätigung auf das Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung, auch wenn der Freitod sein Wunsch sein sollte. Damit sei auch die Rechtssicherheit für alle Berufsgruppen gegeben, die mit Sterbewünschen konfrontiert seien.

In der abschließenden Podiumsdiskussion kristallisierten sich die unterschiedlichen Positionen der Referenten noch einmal heraus. Für Nikolaus Schneider lag die Entscheidung für den Suizid nicht allein in der Einschätzung des Betroffenen. Putz wandte ein, dass eindeutig geklärt sein müsse, ob ein Arzt beim gewünschten Suizid helfe oder ein Sterbehilfeverein. Bobbert wandte ein, dass die Behandlung einer Krankheit parallel zum Prüfen des Suizidwunsches durch einen Arzt passieren müsse. De Ridder brachte den Begriff des Sterbefastens in die Runde, die er als passiven Suizid bezeichnete. Anne Schneider wünschte sich mehr theologische Impulse in der Diskussion um Sterben, Helfen oder Leben. 

Elvira Meisel-Kemper