Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken

„Wir brauchen einen Realismus der Liebe, Fürsorge, des Trostes und der Hoffnung“

Anne und Nikolaus Schneider hielten in Burgsteinfurt eine Dialogpredigt zum Thema Vergänglichkeit

Anne und Nikolaus Schneider hielten in der Großen Kirche Burgsteinfurt eine Dialogpredigt zum Thema „Vergänglichkeit“ (Fotos: Rainer Nix).

Dr. Esther Brünenberg-Bußwolder begrüßte das Ehepaar in der Großen Kirche Burgsteinfurt.

„Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn´s hoch kommt, so sind`s achtzig… Herr, du bist unsere Zuflucht für und für“. So steht es im 90. Psalm Moses aus dem vierten Buch des Psalters geschrieben. Es geht um die Vergänglichkeit. Dass der Psalm letztlich einen realistischen Blick vermittelt auf die Sterblichkeit alles Lebens auf der Erde, machten Anne und Nikolaus Schneider in einer Dialogpredigt deutlich. Es ist der Blick auf ein zentrales Thema menschlicher Existenz, der weder verzweifeln lässt noch zynisch macht.

Im Gottesdienst am 14. November, dem vorletzen Sonntag des Kirchenjahres, war in der Großen Evangelischen Kirche Burgsteinfurt die Vergänglichkeit das Kernthema. Pfarrer Hans-Peter Marker leitete den Gottesdienst, einleitende Worte sprach Dr. Esther Brünenberg-Bußwolder, Referentin für Erwachsenenbildung im Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken: „Wie gehen wir mit Leben und Sterben um, das reflektiert die Predigt, die einen vorangegangenen Studientag zu diesem Thema reflektiert.“ 

Nikolaus Schneider, ehemaliger Präses der Evangelischen Kirche Rheinland, war vom November 2010 bis 2014 Ratsvorsitzender der EKD und damit höchster Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seine Ehefrau Anne ist Theologin und war Lehrerin für Mathematik und Evangelische Religion. „Jeder Tag, den wir erleben, führt uns ein bisschen näher an unser Sterben und an unseren Tod heran“, so Anne Schneider. „Im Gegensatz zu den Tieren können wir Menschen die Begrenztheit und Vergänglichkeit unseres irdischen Lebens verdrängen oder aber reflektieren“, sagte ihr Ehepartner. Der Psalm mündet in die Erkenntnis: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Diese Klugheit zielt darauf ab, dass wir unser Leben nicht banalisieren. Wer sich der Vergänglichkeit nicht stellt, bleibt oberflächlich und unreif, wodurch der Mensch letztlich beziehungsunfähig wird“, erläuterte die Theologin. Denn zu tiefen Beziehungen gehöre dazu, sich der Sterblichkeit von Eltern, Partnern oder Freunden zu stellen. „Beziehungsunfähig“ versteht sie im Blick auf andere Menschen und auf Gott. Gottes Ewigkeit, so eine der wichtigen Erkenntnisse, wird den Menschen Zuflucht sein. „Unser vergängliches Leben ist in Gottes Ewigkeit aufgehoben, trotz unserer Sterblichkeit. Gottvertrauen über den Tod hinaus ist unverzichtbar. „Ohne dieses Gottvertrauen würde ich an dem biblisch bezeugten Zusammenhang von Gottes Menschennähe und Lebenskraft immer wieder neu verzweifeln“, betonte die Religionslehrerin. 

„Unsere Lieben sind vergänglich auf dieser Welt und unvergänglich in Gottes Welt“, hob der ehemalige Präses hervor, „doch sie bleiben für immer unsere Lieben.“ Es benötige Kraft für den realistischen und zugleich hoffnungsvollen Gedanken an die Endlichkeit des Lebens. „Wir brauchen einen Realismus der Liebe, Fürsorge, des Trostes und der Hoffnung“, sagte er und findet ihn in der Bibel. „Unser Leben wird durch den Tod gewandelt und bewahrt in Gott.“ Die vertrauensvolle Gewissheit, dass Gottes Lebensmacht stärker ist als der Tod, beantwortet allerdings nicht alle konkreten und neu aufbrechenden Fragen. Geduld und Liebe sind notwendig. „Ich lebe mit vielen offenen Fragen“, sagte Anne Schneider, „und ich merke immer wieder, ich brauche die Gewissheit, dass Gottes Macht und Gottes Liebe stärker sind als alle irdischen Todesmächte.“ Sie schätzt das Leben wert, obwohl oder gerade weil es vergänglich ist.

„Unser Leben wird im Psalm 90 nicht klein und bedeutungslos gemacht“, resümiert Nikolaus Schneider. „Letztlich wird uns Menschen gesagt, was Gott von uns erwartet: Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit, aufrichtige Gebete und verantwortungsvolle Taten.“ Das gilt insbesondere auch für den Umgang mit dem Sterben und den Sterbenden. „Die Verantwortung dafür, dass Ängste, Verzweiflung und menschliches Leiden nicht das Ende des Lebens dominierten gehört zu den wesentlichen Aufgaben, die wir in der Gesellschaft, unseren Gemeinschaften, unseren Kirchen und Betrieben haben“, machte Schneider deutlich. 

Rainer Nix