Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war zunächst entbehrungsreich, im Rückblick spricht man ab 1949 vom „deutschen Wirtschaftswunder“. Das sagt sich heute so leicht, doch letztlich war es eine harte Schule für die meisten Menschen, bis sie sich endlich bescheidenen Wohlstand erwirtschaften konnten. In den 50er und 60er Jahren gab es zahlreiche Schlagerstars, die das Leben mit ihren optimistisch stimmenden Liedern versüßten. Peter Alexander, Rudi Schuricke, Conny Francis sind nur drei der Namen, später gerieten Bill Ramsey, Cliff Richards, The Beatles und viele Weiter in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie führten die Unterhaltungsmusik in ganz neue Dimensionen.
„Musik liegt in der Luft“, lautete das Motto des diesjährigen Seniorennachmittages der Evangelischen Frauenhilfe in Burgsteinfurt. Nach einem gemütlichen Kaffeetrinken im Gemeindehaus wechselten die rund 135 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die „Kleine Kirche“. Als Pfarrer Guido Meyer-Wirsching seine Andacht beendet und Cornelia Weseloh, Gemeindepädagogin und Leiterin der Frauenhilfe, das Publikum begrüßt hatte, blickten alle auf ein ungewöhnliches Szenario. Vor dem Altarbereich stand ein Bügelbrett, daneben auf dem Tisch ein Radio und eine Uhr. War die Demonstration häuslicher Pflichten angedacht? „Lasst uns nicht aufhören zu singen, Lieder sind Zeichen des Friedens, der Zuwendung und der Hoffnung“, betonte der Pfarrer bereits während seiner Andacht. „Unser Singen ist stets auch ein Ruf nach Freiheit und Segen, der den Menschen ein Stück Halt gibt.“ Jetzt band er sich eine bunte Schürze um, griff zum Bügeleisen und plättete ein Stofftaschentuch. Im Hintergrund tönte munter „Von den blauen Bergen kommen wir.“ War´s nicht einst so? Wenn Wäsche gebügelt werden musste, dudelten im Radio unterhaltsame Schlager. Mit Musik geht eben alles besser. Was durfte in diesem Kontext nicht fehlen? „Das bisschen Haushalt…sagt mein Mann“ war ein Lied der Sängerin Johanna von Koczian aus dem Jahr 1977, das eine männliche Sicht auf die klassische Rollenverteilung hinsichtlich der Hausarbeit ironisch reflektierte.
Meyer-Wirsching nahm die Seniorinnen und Senioren mit auf eine Zeitreise durch die populäre Musik der fünfziger, sechziger und teilweise auch siebziger Jahre. Dazu wurden Fotos und Texte angebeamt, was nicht wenige aus dem Publikum zum Mitsingen animierte. Der Pfarrer rief Zeiten in Erinnerung, in denen die ganze Familie vor dem Röhrenradio saß und sich gemeinsam Sendungen anhörte. Auch das war eine Art, Gemeinschaft zu pflegen. Einen kleinen Schlenker gab es zur Fußball-WM von 1954 und aus den Lautsprechern tönte der berühmte Jubelruf des Reporters Herbert Zimmermann. Mit überschnappender Stimme brüllte er „Tor, Tor, Tor“ ins Mikrofon, als in Bern das Siegertor der deutschen Mannschaft fiel und zum 3:2 gegen die ungarische Mannschaft führte.
Doch zurück zur Musik: Das Publikum hörte die „Capri Fischer“, die mit dem Sänger und Schauspieler Rudi Schuricke bereits Ende der 40er Jahre ein Riesenerfolg wurden. Hinreißend das aus heutiger Sicht ein wenig schwülstige Orchester-Arrangement. „Hohe Tannen weisen die Sterne“ stammte von Wolfgang Roloff, genannt „Ronny“, aus dem Jahr 1968. Selbst als der Pfarrer das Lied unterbrach, sangen einige noch weiter. Unvergessen auch „Die kleine Kneipe“ von Peter Alexander, eine Hommage an die unzähligen Schankwirtschaften, die es vor Jahrzehnten noch gab. In Burgsteinfurt sollen es einstmals rund 30 gewesen sein. „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ sang Paul Kuhn, der „Mann am Klavier“, 1963. Ein großes Talent, das mit zahlreichen Orchestern zusammenspielte. Auch Peter Kraus, Ende der 50er Jahre „Der deutsche Elvis“ genannt, war zu hören. Er entdeckte schon früh den Rock ´n´Roll, dem er in der biederen Bundesrepublik eine Stimme verlieh.
Die „Musikbox“ stand in jeder Gastwirtschaft und jeder Eisdiele, Meyer-Wirsching zeigte Langspielplatten aus Vinyl aus einer Epoche, in der Compact Discs und MP3-Dateien noch nicht einmal vorstellbar waren. Es war für das Publikum ein unterhaltsamer und fantasievoll gestalteter Nachmittag. Er gestattet es jedem, in Erinnerungen an die Unterhaltungsmedien der noch jungen Bundesrepublik zu schwelgen.
Text: R. Nix