Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken

Hoffnungsperspektiven für eine neue Gestalt von Kirche

Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong war Gastreferentin bei der Herbstsynode des Kirchenkreises

Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong

Einen prominenten Gast begrüßte die Synode des Ev. Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken bei ihrer digitalen Herbsttagung (UK berichtete). Nachdem der Kreissynodalvorstand das Buch der Theologin Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong, die an der Universität Kiel die Professur für Praktische Theologie innehat, besprochen hatte, sei die Idee aufgekommen, sie als Gastreferentin zu einer Synode einzuladen, wie Superintendent Joachim Anicker berichtete. Auf seinen Wunsch hin verfasste die Theologin einen Vortrag, der sich explizit mit „Hoffnungsperspektiven für eine neue Gestalt von Kirche“ auseinandersetzte.

Als Einstiegsthese machte Pohl-Patalong dabei deutlich, dass Kirche beständig reformiert sein müsse – geleitet von der steten Orientierung am Evangelium. „Es beseht kein Gegensatz zwischen der Orientierung am Auftrag und der Orientierung an den Adressat:innen. Denn wenn Kirche sich am Evangelium orientiert, dann muss sie sich an den Menschen orientieren“, so Pohl-Patalong. Wichtig sei, dass die Kirche im Alltag der Menschen vorhanden und sinnvoll sei – und zwar in unterschiedlichsten Formen. „Die Suche nach neuen Formen birgt die Chance zu fragen, wie denn eine Kirche sein könnte, die lebensrelevant für die Menschen sein kann“, erklärte die Referentin. Es sei daher nur logisch, dass Denken von den Strukturen aus zu verlassen zugunsten eines Denkens vom Evangelium aus.

Geleitet von sieben zentralen Aspekten skizzierte sie anschließend ihre Vision von einer attraktiven und lebensrelevanten Kirche, wie sie in 20 Jahren aussehen könnte. Dabei müsse sie sich als ein Netz unterschiedlicher kirchlicher Orte verstehen, die in Krankenhäusern oder Schulen stattfinden könnten und mit einem jeweils eigenen inhaltlichen Profil unterschiedliche Personengruppen ansprechen. „Dabei wird konsequent nach den Bedürfnissen der Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten gefragt“, so Pohl-Patalong.

Außerdem müsse Kirche und ihre Akteur:innen sich arbeitsteilig im Sinne Jesu Christi begreifen. „Wer in der Kirche Verantwortung trägt, weiß: Jede Kommunikation des Evangeliums bleibt immer fragmentarisch und exemplarisch.“ Wichtig sei die theologische Erkenntnis, dass alles menschliche Wirken dem Evangelium nie vollständig gerecht werden könne. In ihrer Vision leiste jede Gemeinde vor Ort daher nur einen begrenzten Beitrag zur Kommunikation des Evangeliums. Damit gehe einher, dass sich die Menschen allmählich auch aus den Strukturen ihrer Gemeinde vor Ort lösen. „Ein überwiegender Teil der Kirchenmitglieder hat gar nicht mehr die Vorstellung, dass alles, was man sich von der Kirche wünscht, vor Ort ist“, beschreibt Pohl-Patalong ihre Vorstellungen.

Als dritten Aspekt nannte sie die spirituelle Ausstrahlungskraft, zu deren Ausprägungen neben bewährten Formen beispielsweise auch afrikanische Tanzgottesdiente zählen sollten. Die Kirche biete den Menschen ein reichhaltiges Veranstaltungsangebot, das immer wieder auch im öffentlichen Raum stattfinde – zum Beispiel in Form einer „Woche der Stille“ in Kooperation mit der Stadt.

Zu den zentralen Aspekten ihrer Vision gehört auch die Idee eines Mit- und Nebeneinanders von haupt- und ehrenamtlichen Kräften, die in ihrer kirchlichen Tätigkeit jeweils einen eigenen Aufgabenschwerpunkt haben, welche ihren persönlichen Stärken und Fähigkeiten entsprechen. „Kirchliche Arbeit geschieht relativ selbstverständlich in multiprofessionellen Teams“, so Pohl-Patalong. Während Hauptamtliche sich auf Stellen bewerben können, die ihren Fähigkeiten entsprechen, würden für bestimmte Aufgaben auch gezielt Ehrenamtliche gesucht, die beispielsweise durch kommunale Freiwilligenbörsen gefunden werden könnten. In ihrer Vorstellung sei Kirche dabei ein besonders attraktives Feld für Ehrenamtliche, das bei Sportvereinen oder anderen Institutionen einen gewissen Neid auslöse.

Dies sei nicht zuletzt dadurch begründet, dass es in der Kirche eine Kultur des Experiments, der Wertschätzung und der Fehlerfreundlichkeit gäbe. In Pohl-Patalongs Vision klingt das so: „Die Menschen sind ziemlich zufrieden mit der Kultur in ihrer Kirche. Experimente werden von Leitungen zugelassen. 10 Prozent des kirchlichen Haushalts sind für solche Experimente vorgesehen.“ Für das vielfältige Engagement in den verschiedenen Lebenswelten der Kirche gebe es ein ausgeprägtes Fundraisingsystem, das die Bereitschaft der Menschen weckt, für die Initiativen und Angebote zu spenden, sodass Kirche damit unabhängiger von Kirchensteuern werde.

Bevor die Synodalen den Vortrag in Kleingruppen diskutierten und einige Rückfragen an die Referentin stellten, nannte diese einige konkrete Vorschläge, die in den Kirchenkreisen und Gemeinden bereits jetzt umgesetzt werden könnten. Dazu gehört u.a. die Entwicklung einer Kultur des Lassens, in der man beispielsweise in einem dreijährigen Projekt bewusst überlege, von welchen Angeboten man Abschied nehmen könnte. Zudem könnten vor Ort spirituelle Profile entwickelt und gestaltet und neues Ehrenamt beispielsweise durch die Einrichtung von Freiwilligenbörsen gefördert werden. 

Maximilian Stascheit