Deutschland ist für Tsitsi Dangarembga, frisch gekrönte Preisträgerin des Deutschen Buchhandels des Jahres 2021, kein unbekanntes Land, erlebte sie doch 1990 den Fall der Mauer in Berlin mit. Damals studierte sie an der deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Filmregie. Am 24. Oktober 2021 wurde die Autorin, Dramaturgin und Filmemacherin mit dem begehrten Preis in Frankfurt ausgezeichnet.
Die Stadt Ahaus, das aktuelle forum VHS Ahaus, die Deutsch-Simbabwische Gesellschaft, die evangelische Christus-Gemeinde und der Evangelische Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken schafften es, sie zwischen den großen Städten ihrer derzeitigen Lesereise ins beschauliche Ahaus einzuladen. Nachmittags trug sie sich nach einer sehr herzlichen Begrüßung durch Bürgermeisterin Karola Voß ins Goldene Buch der Stadt ein. Abends stand sie in der ausverkauften Stadthalle VHS-Leiter Dr. Nikolaus Schneider und Kerstin Hemker (Deutsch-Simbabwische Gesellschaft) Rede und Antwort.
Die Weltmusiker Rhani Krija (Percussion) und Njami Sitson (Gesang) sensibilisierten das Publikum. Schauspielerin Carola von Seckendorff las aus Dangarembgas autobiografischen Romanen „Aufbrechen“ (1988) und „Überleben“ (2018).
Wie viel von ihr wirklich in den Romanen steckt, relativierte sie so: „Es ist mir wichtig, nicht nur über mich selbst zu berichten, sondern wie die Menschen sind.“ Das verfolgt sie auch in ihren Filmen. Dangarembga gründete verschiedene Organisationen, um filmschaffende Frauen in Afrika zu fördern.
Hemker leitete mit einer kurzen Einführung zu dem ersten Roman „Aufbrechen“ von Dangarembga über, dem ersten Frauenroman Afrikas. Darin beschreibt die Autorin den zähen Kampf des Mädchens Tambu um Bildung und Anerkennung. Tambu wuchs in kleinbäuerlichen Verhältnissen auf. Ihr Bruder durfte zur Schule gehen, sie nicht. Erst als ihr Bruder starb, durfte sie seinen Platz in der Schule einnehmen. Es war für das Mädchen ein Quantensprung, der sie ihrer Herkunft entfremdete. In ihre Beschreibung des Lebens von Tambu ließ die Autorin die Bildungsmöglichkeiten im damaligen Rhodesien einfließen. „Es gibt so viele Seiten in diesem Buch. Damit meine ich nicht die Zahl der Seiten, sondern die Inhalte. Die Kolonialisierung ist ein großes Trauma“, ergänzte die Autorin.
„Für schwarze Kinder gab es lange Jahre die Bantu-Bildung. Sie lernten Schreiben und Rechnen, mehr nicht. Nach der Unabhängigkeit wurde das Schulgeld abgeschafft, damit alle Kinder zur Schule gehen konnten. Seit einigen Jahren gibt es die Schulsteuer. Das können sich viele Familien für die Mädchen nicht leisten.“ Die Emanzipation der Frau durch Bildung und Selbstbestimmung werde durch die Kirchen überhaupt nicht gefördert. „Charismatische Kirchen verschlimmern das noch. Achtjährige Mädchen werden verheiratet“, so Dangarembga.
Der Band „Überleben“, der 2018 erschien, bestätigte die Aussichtslosigkeit der Frauen im wirtschaftlich gebeutelten Simbabwe zusätzlich. Tambu ist in diesem Buch 40 Jahre alt, lebt in Harare, ist vereinsamt, verbittert und arbeitslos.
Elvira Meisel-Kemper