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„Tobiz“ tanzt – Dresden steht kopf

Gehörloser Tänzer aus Coesfeld begeistert auf dem Evangelischen Kirchentag in Dresden rund 600 Fans / Botschafter der „Aktion Mensch“

Kreis Coesfeld / Dresden - „Wir lieben Dich! Wir lieben Dich!“ Dicht drängen sich die Fans um den eiligst aufgebauten Tisch draußen vor der ehemaligen Rinderhalle auf dem Dresdener Messegelände. Eigentlich war gar keine Autogrammstunde vorgesehen im Anschluss an den Auftritt des gehörlosen Tänzers Tobias „Tobiz“ Kramer beim Evangelischen Kirchentag in Dresden. Aber seine Anhänger lassen ihm trotz engen Terminplans – der Tänzer muss noch in der Nacht mit der ihn begleitenden Truppe „Flying steps“ nach Berlin zurück – keine Chance. Sie wollen den Coesfelder sehen, sich mit ihm fotografieren lassen. Viele Gehörlose sind darunter, aber auch Hörende, für die der Finalist der RTL-Castingshow „Das Supertalent“ auch längst Kult ist. Geduldig und freundlich lächelnd erfüllt er jeden Wunsch. Dann muss er weiter. Und seine Fangemeinde bleibt zurück – freudestrahlend die Autogrammkarten in den Händen haltend und selig Bilder auf den Handy-Kameras betrachtend. „Er hat mir den Arm gestreichelt“, frohlockt Lisa (14) aus Bayern. „Er ist einfach toll“, gebärdet der gehörlose Jonas (12). Seine Mutter übersetzt: „Ich bin sein größter Fan!“

Begeisterung ist auf dem Kirchentag nichts Ungewöhnliches. In dieser Form allerdings schon. Schon vor Beginn des Konzertes warten rund 600 Fans des „Supertalents“ auf den Einlass. Dann die ersten verzückten Rufe, als ihr Idol zur Begutachtung des Tanzbodens auf der Bühne erscheint. „Das ist der absolute Wahnsinn“, sagt Tina (17) aus Thüringen. „Er hat allen gezeigt, dass man auch etwas erreichen kann, wenn man behindert ist“, fügt ihre Freundin Maria hinzu, den Blick nicht von der Bühne wendend. Schon bei der Fernsehsendung hätten sie mit ihm gefiebert. Dass er das alles ganz selbstständig in Angriff genommen hat – und auch geschafft hat, das sei „absolut bewundernswert“.

Die Show, die Tobiz dann gemeinsam mit den „Flying steps“ auf die Bühne bringt, enttäuscht die Anhänger nicht, lässt Dresden kopfstehen. Im Michael-Jackson-Stil, seinem großen Vorbild folgend, moonwalkt er über die Bühne. Zur Musik von DJ Fresh tanzt er, was das Zeug hält. „Er kann nichts hören. Tanzt nur nach dem Luftdruck der Bässe“, erklärt Martin Georgi, Vorstandsmitglied der „Aktion Mensch“, die das Event auf dem Kirchentag für das Forum „Barrierefrei“ organisiert hat. Auch der Mittvierziger ist von dem Auftritt begeistert. „Hier kann man sehen, wie Inklusion lebt“, sagt er. Als Menschen mit Behinderung sieht er Tobiz Kramer nicht. „Er hat einfach gezeigt, dass er tanzen kann.“ Die Behinderung spiele keine Rolle. Und insofern könne er Vorbild für andere sein – für Menschen mit und ohne Behinderung.

Die Show steigert sich noch, als die Tänzer aus Coesfeld und Berlin gemeinsam auf der Bühne „slammen“. Immer wieder wird einer, angefeuert von den anderen und vom Publikum, in die Mitte gestoßen um vorzutanzen. Der Saal brodelt. Bei „Tobiz“ Kramer erschallt kein lauter Beifall. Den könnte er ja auch nicht hören. Er strahlt, als alle die Hände in die Höhe strecken und schütteln – die Gebärde für Begeisterung. Dann geht Tobiz auf Tuchfühlung. Gemeinsam mit der Tanzlehrerin der „Flying Steps“ zeigt er Schritte, mischt sich unters Publikum.

Detlef Scherle

 

 

„Gott hat mir den Weg gezeigt“- Tobiz Kramer im Interview über Gefühle, Glaube und Zukunftspläne

Kreis Coesfeld / Dresden - Einen gefeierten Auftritt hat Tobiz Kramer auf dem Kirchentag in Dresden hingelegt. Detlef Scherle sprach mit ihm „backstage“ mit Gebärdendolmetscherhilfe über seine Gefühle, seinen Glauben und welche Pläne er für die Zukunft hat.

ds: Tobiz, was war das für ein Gefühl, als Du da oben auf der Bühne standest und unten reckten 600 Fans die Hände in die Höhe?
Tobiz Kramer: Ich war total glücklich. Ein Super-Gefühl!

ds: War es für Dich etwas Besonderes, erstmals auf einem Kirchentag zu performen?
Tobiz Kramer: Ja, auf jeden Fall. Das war etwas Besonderes, Botschafter für die Aktion Mensch zu sein. Ich möchte Hörenden vermitteln, dass Gehörlose genau wie sie tanzen können. Behinderte sollten zeigen, dass sie genauso viel können wie Nichtbehinderte.

ds: Hast Du einen Bezug zu Kirche und Glauben?
Tobiz Kramer: Ich glaube an Gott. Er hat mir den Weg gezeigt, mein Ziel zu erreichen.

ds: In Dresden waren auch viele Menschen mit Behinderung, insbesondere Gehörlose, im Publikum. Siehst Du Dich als Vorbild?
Tobiz Kramer: Ja. Viele Gehörlose sind mit mir stolz darauf, dass ich es beim „Supertalent“ bis ins Finale geschafft habe. Besonders für gehörlose Kinder bin ich ein Vorbild. Die tragen teilweise sogar ihr Cap, wie ich das tue. Da bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich das sehe.

ds: Wie sehen Deine Pläne aus?
Tobiz Kramer: Ich will weiter auftreten und auch Workshops anbieten, um zu zeigen, dass man ohne Gehör tanzen kann. Choreografien verschiedener Tanzstile in der eigenen Tanzschule zu vermitteln, das wäre spannend. Ich möchte eine Tanzschule für Gehörlose und Hörende eröffnen. In Seminaren will ich Gehörlosen beibringen, den Rhythmus mitzufühlen. Hörende Tanzlehrer könnten bei mir die Gebärdensprache mitlernen, um auch in anderen Städten unterrichten zu können. Das ist mein Wunsch!