Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken

Initiative „alle für Jubi für alle“ im Gespräch

Ende März informierte der Evangelische Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken auf vier Regionalkonferenzen die Synodalen – die Mitglieder der Presbyterien, Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Mitarbeitende – über den Fortgang des 2013 beschlossenen Reformprozesses „Kirchenkreis 2017“.

Svenja Hoffmann (Foto: privat).

Angesichts langfristig rückläufiger Gemeindegliederzahlen, sinkender Kirchensteuereinnahmen und steigender Personalkosten gerate die Finanzierung der kreiskirchlichen Dienste in den kommenden vier bis sechs Jahren an Grenzen, teilte Superintendent Joachim Anicker mit. Der Kreissynodalvorstand (KSV), das Leitungsgremium des Kirchenkreises, hatte daher im Auftrag der Synode drei Handlungsoptionen vorgelegt. Im Kern wird es um eine Richtungsentscheidung gehen, bei der zwischen den Konzepten einer stärkeren Zentralisierung kreiskirchlicher Angebote und einer Dezentralisierung synodaler Dienste zu entscheiden sein wird. Dabei geht es auch um die Zukunft der Evangelischen Jugendbildungsstätte Nordwalde.

Der Evangelische Kirchenkreis sprach jetzt mit Svenja Hoffmann, Mitinitiatorin des Projektes „alle für Jubi für alle“. Mit der Initiative setzen sich Hoffmann und weitere Freunde und Förderer der Evangelischen Jugendbildungsstätte für den Erhalt der evangelischen Bildungseinrichtung ein.

Frau Hoffmann, Sie engagieren sich für die Initiative „alle für Jubi für alle“. Worum geht es dieser Initiative?

Wir haben die Initiative „alle für Jubi für alle“ Anfang April auf einem inklusiven Wochenende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit und ohne Behinderung in der Jugendbildungsstätte (Jubi) in Nordwalde ins Leben gerufen. Das Anliegen unserer Initiative ist der langfristige Erhalt der inklusiven Angebote. In der Jugendbildungsstätte wird seit langer Zeit praktiziert, was durch die UN Behindertenrechtskonvention nun auch von der Deutschen Bundesregierung gesetzlich verankert wird: die uneingeschränkte, barrierefreie Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. 

Die evangelische Jugendbildungsstätte hat bereits vor 20 Jahren begonnen, Inklusion vorzuleben. Das Anliegen unserer Initiative ist der langfristige Erhalt der inklusiven Angebote. Es gibt in der Jubi viele gute Ideen, jede Menge (Fach-) Kompetenz sowie (ehrenamtliche) Ressourcen und Energie, um das Thema Inklusion gesamtgesellschaftlich prioritär zu platzieren. Und das nicht nur im Münsterland, sondern NRW- und bundesweit.

Was hat Sie und Ihre Mitstreiter motiviert, diese Aktion ins Leben zu rufen?

Die Jubi ist für viele ein Zuhause, in dem unzählbar viele Träume wahr werden und wurden, in dem jeder willkommen ist. Viele Menschen durften erleben, welch wunderbares Gefühl es ist, sich selbstwirksam zu fühlen, seine eigenen Grenzen zu erweitern und sich einfach nur „normal“ und angenommen zu fühlen. Hier darf jeder Mensch sein... . Die Jubi hat mit all ihren Mitarbeitenden so viele Leben berührt, beeinflusst und christliche Werte gelebt und multipliziert. Erfahrungen, die dem Rotstift zum Opfer fallen sollen!?

Die mögliche Schließung der Jubi hat uns und viele andere Menschen im Evangelischen Kirchenkreis und darüber hinaus sehr getroffen. Für Menschen mit Behinderung, die sich in der Jubi ernstgenommen und willkommen fühlen, wie an kaum einem anderen Ort in ihrem Leben. Für ihre Familien, die dank der Arbeit der Jubi einen positiven Weg gefunden haben, mit der Behinderung eines Angehörigen umzugehen. Und auch für Ehrenamtliche und Honorarmitarbeiter wie mich, die wir zum Teil seit Jahrzehnten der Jubi die Treue halten, und neben eigentlichem Beruf, Familie und Freunden immer wieder in der Jubi arbeiten. 
Wir bündeln die Stimmen, damit sie an entsprechender Stelle gehört werden. Die Initiative "alle für Jubi für alle" versteht sich als Sprachrohr für diejenigen, die bislang im Entscheidungsprozess kein Gehör gefunden haben. Die Reaktionen der Medien zeigen, dass wir gehört werden.

Im Rahmen von „alle für Jubi für alle“ verschicken Sie „Rote Karten“ an den Evangelischen Kirchenkreis, auch ein Facebook-Auftritt ist entstanden. Welche Reaktionen erleben Sie auf Ihre Initiative?

Wir hatten durchaus erwartet, dass wir mit unserer Initiative viele Menschen erreichen. Das unsere Facebook-Seite (Link: www.facebook.com/inklusion.jubi) allerdings so einschlägt, hat uns dann doch überrascht. Innerhalb von nur drei Wochen erreichen wir allein auf unserer Facebook-Seite regelmäßig mehr als 600 Menschen. Der Aufruf zu den „Roten Karten“ ist tatsächlich schon von über 2.400 Onlinern gesehen worden. Wie viele Karten beim Vorstand angekommen sind, können Sie mir vielleicht sagen?

Vor allem die vielen persönlichen Geschichten, die die Menschen uns geschickt haben, haben uns sehr berührt. Wir haben dabei erlebt, dass unsere Initiative den Menschen Hoffnung gibt und ihnen das lähmende Gefühl nimmt, nichts tun zu können. Gerade den Menschen mit Behinderung, die sich in solchen Situationen oft überfordert fühlen, bietet die Initiative eine Möglichkeit zum Austausch.

Doch nicht nur der Fachbereich Inklusive Pädagogik wird hier aktiv. Im Rahmen unseres Facebook- Auftritts kommen Menschen zusammen, die auf unterschiedlichsten Wegen im Kontakt zur Jubi stehen. Diese Menschen freuen sich über die Möglichkeit zu erzählen, warum die Jubi und die Arbeit der Jubi eine so große Bedeutung für sie hat. Das sind z.B. die Teilnehmenden des EuroContacts aus anderen Ländern, alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, ehemalige Freiwilligendienstleistende, Jugendleiter oder Teilnehmer von Kinder- und Jugendbildungsveranstaltungen. Unsere Aktionen bieten die Möglichkeiten Kräfte zu sammeln, zu kanalisieren und gemeinsam aktiv zu werden.

Erfahren Sie auch Gegenstimmen oder Kritik?

Was sollte gegen die Entwicklung der Inklusion sprechen? Negative Gegenrede gibt es bislang nicht. Aber sicher wird es schweigende Skeptiker geben. Generell sind wir aber auch an der Stelle offen für den Dialog. Schließlich ist auch unserer Initiative bewusst, dass gesellschaftliches Engagement finanzierbar sein muss. Bisher haben wir allerdings tatsächlich nur positiven Zuspruch erhalten. Es gibt viele Menschen, die eine Geschichte oder ein Erlebnis mit der Jubi Nordwalde verbindet und daher schnell eine Identifikation zu unserer Aktion und unserem Anliegen aufbauen.

Wie nehmen Sie die Arbeit der Evangelischen Jugendbildungsstätte in Nordwalde wahr? Was macht die Arbeit in der Jubi für Sie aus?

Inklusion ist in der Jubi keine Utopie, sondern gelebter Alltag. Das hohe professionelle Niveau der Arbeit in der Jubi ist für alle Beteiligten sehr inspirierend. In regelmäßigen Seminaren gibt es für alle Beteiligten die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln und sich weiterzuentwickeln. Die Studienreisen für Menschen mit Behinderung zum Beispiel sind ja nicht aus dem Nichts entstanden: Am Anfang gab es Wochenenden und Ferienfreizeiten in der Jubi, bei denen Menschen mit Behinderung etwas über andere Länder erfahren konnten. Daraus entstand die Idee, nicht nur über ein Land zu erzählen, sondern sich vor Ort selbst ein Bild vom kulturellen, gesellschaftlichen Leben zu machen. Und auch diese Reisen stehen in einem kontinuierlichen Verbesserungs- und Entwicklungsprozess.

Inzwischen waren die Gruppen aus der Jubi schon zweimal in den USA, sie waren in Athen, München, London, Dresden, Barcelona, Wien, um nur einige Orte zu nennen. Die Reiseziele waren Wunsch der Teilnehmenden, die nicht wie jeder andere einen Urlaub im Reisebüro buchen können! Wir bieten hier individuelle Unterstützung bei der Pflege, der Medikamentenvergabe, dem Umgang mit Geld und einem Reiseführer in Leichter Sprache.

Im Herbst dieses Jahres steht eine inklusive Studienreise nach Namibia auf dem Plan. Hier werden Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen gemeinsam ein neues Land kennen und lieben lernen. Die Konzepte für diese Art der Reisen wurden in der Jubi entwickelt und sind bundesweit in dieser Form einzigartig. Das Haus bietet für eine solch innovative Arbeit den verlässlichen Rahmen, ohne die ein solches Angebot nicht realisierbar wäre.

Was verbindet Sie mit der Jubi in Nordwalde?

Immer wenn ich in den letzten 17 Jahren für ein Seminar, einen Workshop oder für den kollegialen Austausch nach Nordwalde gefahren bin, hatte ich das Gefühl, ich fahre nach Hause. Dort treffe ich Menschen, die mir wichtig sind. Dort tue ich Dinge, die von Bedeutung sind. Dort erlebe ich Entwicklung am Puls der Zeit.

Seit einigen Monaten diskutiert die Synode im Evangelischen Kirchenkreis nun schon den Prozess „Kirchenkreis 2017“. Dabei stehen eben auch Jugendarbeit, Diakonisches Werk und Jugendbildungsstätte als synodale Dienste auf Kirchenkreisebene auf dem Prüfstand. Was sagen Sie zu dieser Diskussion?

Schrumpfende Gemeinden, sinkende (Kirchensteuer-) Einnahmen und der demographische Wandel legitimieren sicherlich die Diskussion zu möglichen Umstrukturierungen und zur Neuorganisation der kirchlichen Angebote.

Andererseits tut der Kirchenkreis sicher gut daran, nicht nur von den Zahlen her zu denken, sondern sich ernsthaft zu fragen, wie relevant die Evangelische Kirche auch über ihre rituellen Aufgaben hinaus in der Region sein will. Der Kreissynodalvorstand trägt im Rahmen des eigenen Reputationsmanagements selbst die Verantwortung für das öffentliche Image. Mit der Jubi hat der Kirchenkreis ein Leuchtturmprojekt, das weithin wirkt: die Jugendbildungsstätte Nordwalde spielt eine wichtige Rolle im Leben vieler Menschen. Und ihre Arbeit wird auch, aber nicht nur, durch Auszeichnungen wahrgenommen. Im vergangenen Jahr wurde die Jubi beispielsweise durch den Jugendprojektpreis der aej ausgezeichnet. Eva Beeres-Fischer, Leiterin des Fachbereichs für inklusive Pädagogik, erhielt für ihre Lebensaufgabe die Bundesverdienstmedaille. Eine Schließung der Jubi würde ein großes Loch in das Leben sehr vieler Menschen reißen und – das darf man wohl so sagen – die (Evangelische) Kirche selbst infrage stellen. Der Kirchenkreis sägt eindrucksvoll und konsequent an dem Ast, auf dem er sitzt.

Wir können die auslösenden Faktoren der Diskussion durchaus nachvollziehen, werden aber das Gefühl nicht los, dass man sich der Konsequenzen nicht hinreichend bewusst ist. Auch wenn die Dezentralisierung der Angebote ihren Charme haben mag, so bringt auch die Kompetenz- und Ressourcenbündelung in Nordwalde ihre Vorteile mit sich. Der Aufbau dezentraler Parallelstrukturen wird zu Reibungsverlusten, inhaltlichem, personellem und somit am Ende doch zu finanziellen Mehraufwand führen.

Hat der Kreissynodalvorstand auch innovative Ideen und Alternativen diskutiert, die vielleicht sogar eine Kombination zentraler und dezentraler Angebote ermöglichen? Im Zeitalter des digitalen Wandels wäre es doch durchaus denkbar, die Möglichkeiten des Web 2.0 in die kirchliche Arbeit einzubeziehen und im virtuellen Raum zeit- und ortsunabhängige Angebote zu schaffen. Die Follower unserer Facebook- Fanseite zeigen, dass sie – die Nutzer der Angebote der Jubi – längst in der Welt der neuen Medien angekommen sind. Anstatt den jungen Gemeindemitgliedern die Kirche vor die Haustür zu setzen, sollte man die Menschen dort abholen, wo sie heute schon sind: im digitalen Raum. Aber damit würden wir nun wohl eine weitere Grundsatzfrage aus dem Boden stampfen.

Wäre für Sie die Jubi auch unter einer veränderten Trägerschaft denkbar?

Für uns steht die Fortsetzung der Arbeit der Jubi im Mittelpunkt. Ob das unter dem Dach des Kirchenkreises oder mit einem anderen verantwortungsvollen Träger geschieht, spielt für die Initiative „alle für Jubi für alle“ keine vordergründige Rolle. Der Rückzug des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken aus der Trägerschaft würde auch für die Angebote der Jubi ein inhaltliches Umdenken erfordern. Wir sehen einen neuen Träger durchaus als Chance für einen Neuanfang und die Möglichkeit das Angebot einer „inklusiven Bildungsstätte“ inhaltlich weiterzuentwickeln. Zunächst sehen wir aber den Kirchenkreis in der Verantwortung den weiteren Prozess zu gestalten und den Fortbestand der gesellschaftlich relevanten Angebote in der Jubi sicherzustellen. Der Vorstand muss seiner Verpflichtung gerecht werden und darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen.

Meine persönliche Meinung ist, dass die hauptamtlichen Mitarbeitenden einen verlässlichen Partner brauchen, der mit ihnen gemeinsam und nicht an ihnen vorbei plant. "Nicht  ohne uns über uns", ist einer der zentralen Grundsätze der UN Behindertenrechtskonvention. Auch wir wünschen uns für den weiteren Verlauf eine zukunftsorientierte Beteiligung auf einer transparenten Grundlage. Die Jubi muss eine Chance bekommen, ihr Potenzial weiter zu entfalten. Die Initiative „alle für Jubi für alle“ ist bereit, die Veränderungsprozesse mitzugestalten, wenn die Angebote am Standort Nordwalde erhalten bleiben können.

 

Zur Person: Svenja Hoffmann
Svenja Hoffmann arbeitet als Bildungsreferentin in der ökumenischen Bundesgeschäftsstelle der Bahnhofsmission in Berlin. Bis 2009 war sie in Einrichtungen der Behindertenhilfe im Münsterland tätig. Während der westfälischen Landessynode 1997 lernte sie Referentin Eva Beeres-Fischer, in Nordwalde für die Inklusionsarbeit zuständig, kennen und ist seither als Honorarmitarbeiterin in der Evangelischen Jugendbildungsstätte Nordwalde aktiv.

In Auszügen erschien das Interview mit Svenja Hoffmann auch im Newsletter des Kirchenkreises. Sie lesen den gekürzten Text und weitere Hintergründe zum synodalen Prozess „Kirchenkreis 2017“ in Ausgabe 101 der KK-NEWS >>>