Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken Pressemitteilung

Hinschauen und Kommunikationslinien definieren

Erste Online-Bausteinschulung auf dem Weg zum Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt

Monika Hölscher (links) und Annette Brauner luden zum ersten Modul der Bausteinschulung „Schutzkonzept“ ein.

Am Ende der Schulung sammelten die Teilnehmer*innen über das digitale Tool „Slido“ zentrale Begriffe zu den erlernten Inhalten.

Das Thema „sexualisierte Gewalt“ wird seit Jahren in der Öffentlichkeit und auch in den Kirchengemeinden diskutiert. Opfer sind meist Kinder und Jugendliche. Wie lässt sich dem entgegenwirken? Bis zur Herbstsynode 2022 sollen Gemeinden und funktionale Dienste im Evangelischen Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken ein Schutzkonzept erarbeiten, das Täter*innen im Idealfall keinen Raum mehr für Übergriffe bietet. Monika Hölscher und Annette Braune, Diplom-Sozialarbeiterinnen der Diakonischen Dienste in Gronau und Steinfurt, sind auch Beauftragte für die Schutzkonzeptentwicklung. „Wir verstehen uns als Ansprechpartnerinnen bei der Erstellung von Schutzkonzepten“, sagen beide einhellig. Sie luden an zwei Tagen eines Wochenendes zur ersten Online-Bausteinschulung unter dem Titel „Schutz- und Risikofaktorenanalyse in Kirchengemeinden, Vertrauen und Schutz – zwei Seiten einer Medaille“ ein. Die Auftaktveranstaltung, der zwei weitere Bausteine im Herbst dieses Jahres und im Frühjahr 2022 folgen, vermittelte den Teilnehmer*innen Hintergrundwissen zur Konzepterstellung. „Unsere Aufgabe ist es, alle ehren- und hauptamtlichen Kräfte für das Thema zu sensibilisieren und möglichst vertraut zu machen“, erläutert Hölscher. 

„Kein Raum für Missbrauch“, lautet das Credo. Kinder, Jugendliche und weitere Schutzbedürftige sollen vor Übergriffen geschützt werden. Die Statistik verrät, dass bis zu 25 Prozent der Täter*innen weiblichen Geschlechts sind. Zunächst ging es darum, zu analysieren, wer genau sich in kirchlichen Einrichtungen trifft und welche Gefahrenquellen es dort für junge Menschen gibt, Opfer von Übergriffen zu werden. In welcher Umgebung üben potenzielle Täter sexualisierte Gewalt aus? Unangemessene Handlungen können unter anderem in Fluren, Gruppenräume oder in Toiletten stattfinden.

Zur Risikoanalyse kam die nähere Betrachtung von Täter*innenstrategien. Potenzielle Gelegenheiten gibt es in großer Zahl, so dass Bedarf für eine detaillierte Bewertung besteht. Aus der Praxis: Fahren Betreuer und Jugendliche in ein Zeltlager, ist es wichtig zu definieren, welche Regeln für die Übernachtung gelten, wie viel Nähe erlaubt ist und welche Distanz unbedingt eingehalten werden muss. „Die verfasste Kirche fordert ein Führungszeugnis von allen, die mit jungen Menschen zu tun haben“, betont Hölscher. „Wir signalisieren eindeutig, dass wir das Thema sexualisierte Gewalt sehr ernst nehmen und die Augen offenhalten“, fügt Hölscher hinzu.

„Ich befasse mich nicht zum ersten Mal mit dem Thema“, sagt Schulungsteilnehmerin Regine Vogtmann, Pfarrerin der Evangelischen Friedens-Kirchengemeinde in Nottuln. „Zu Beginn war ich schon ein wenig ,erschlagen‘ von der Menge der Aspekte, die bedacht werden müssen“, sagt sie, „einen Moment lang fragte ich mich, wie das überhaupt zu schaffen ist.“ Doch die Ratlosigkeit wich der Zuversicht. Das zu erarbeitende Schutzkonzept ist umfassend und nichts, was für die Schublade erarbeitet wird. „Es kann und muss Gemeinden verändern und wird unsere gesamte Arbeit begleiten“, so die Pfarrerin. „Es kommt darauf an, die Haltung zu zementieren, dass Übergriffe nicht passieren dürfen.“ Signalisiert wird jedoch auch, dass die Gemeinden im Fall eines Falles ansprechbar sind und Betroffenen Hilfe gewähren.“ Kommunikationslinien sollen aufzeigen, wer sofort zur Beratung hinzugezogen werden kann, wer an der Seite der Opfer steht und wer die Öffentlichkeit informiert. 

Diplom-Pädagogin Meike Neumann, psychologische Beraterin bei der Familienberatung der Diakonie in Steinfurt, wurde klar, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema zu befassen, hinzuschauen und nicht grundsätzlich zu glauben, das immer alles in Ordnung sei. „Auch der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sollte stattfinden“, betont sie. „Beratung lebt davon, dass wir Beziehungen zu Menschen aufbauen“, sagt die Pädagogin. Es gebe viele Büros und weitere Orte, in denen sich theoretisch sexuelle Gewalt abspielen könne. Es gelte, hinzuschauen, welche Menschen wo arbeiten, aber auch, niemanden unter Generalverdacht zu stellen. Man müsse aufmerksam sein, Standards für den Umgang miteinander setzen und damit das Risiko weitestgehend minimieren. Oft beginnt der Verdacht mit einem komischen Gefühl, mit dem sich nur schwer umgehen lässt. Das Schutzkonzept muss Standards setzen, die deutlich machen, was in einem solchen Fall zu tun ist, wer als Ansprechpartner*in fungiert und Entscheidungen trifft.

Rainer Nix