Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken Pressemitteilung

Evangelische Kirche prangert unhaltbare Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie an

In einer gemeinsamen Stellungnahme rufen die drei Evangelischen Kirchenkreise im Münsterland Europa- und Bundespolitiker zu raschem Handeln auf.

Die drei Evangelischen Kirchenkreise im Münsterland, die Kirchenkreise Münster, Tecklenburg und Steinfurt-Coesfeld-Borken, fordern die Europa- und Bundespolitiker in der Region auf, aktiv gegen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in der heimischen Fleischindustrie vorzugehen. In einer gemeinsamen Stellungnahme, die sich an Abgeordnete des Deutschen Bundestages sowie des Europäischen Parlaments richtet, rufen Superintendentin Meike Friedrich (Ev. Kirchenkreis Münster), Superintendent André Ost (Tecklenburg) und Superintendent Joachim Anicker (Steinfurt-Coesfeld-Borken) die Mandatsträger im Münsterland auf, dem Abbau von Arbeitnehmerinteressen und Sozialstandards Einhalt zu gebieten. Insbesondere die Situation der zumeist osteuropäischen Beschäftigten, so genannten Billiglohnkräften, in den Schlacht- und Zerlegebetrieben der Region seien an einigen Standorten Berichten zufolge unhaltbar und gäben Anlass zur ernsten Sorge.

„Als Christinnen und Christen sind wir dem biblischen Menschenbild verpflichtet. Bereits im Alten Testament heißt es: ‚Einen Fremden sollst du nicht ausnutzen oder ausbeuten‘ (2. Mose 22, 20)“, heißt es zur Begründung in der gemeinsamen Stellungnahme. Die Vertreter der Evangelischen Kirche im Münsterland weisen auf Entgelte im Rahmen bestehender Leiharbeit und Werkverträgen hin, die weit unterhalb der für die Branche üblichen Tariflöhne lägen. Von den geringen Löhnen würden häufig willkürlich Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Fahrkosten von der Unterkunft zum Betrieb abgezogen. Außerdem lebten die Beschäftigten zum Teil unter menschenunwürdigen Wohnbedingungen. In der Stellungnahme heißt es weiter: „Wir fordern die EU-Abgeordneten unserer Region auf, sich im EU-Parlament im Rahmen des europäischen Stabilitätspaketes für gemeinsame und menschenwürdige Regelungen und Standards in den Werkverträgen einzusetzen.“ Das Ziel müssten menschenwürdige Lebens- und Arbeitsverhältnisse für alle Beschäftigten in der Fleischindustrie sein. Die damit verbundenen, geringen Mehrkosten sollten sich Fleischindustrie, Handel und Verbraucher leisten. 
 
„Wir können und müssen uns Gerechtigkeit leisten!“

Über den Appell an die politischen Verantwortlichen hinaus rufen die Superintendenten auch die 61 evangelischen Kirchengemeinden im Münsterland zu einem veränderten Konsumverhalten auf. Weil Nahrungsmittel und menschliche Arbeitskräfte wertvoll seien, so die Kirchenkreis-Vertreter, „wollen wir auch selbst bewusst und verantwortlich damit umgehen“.

Die Stellungnahme im Wortlaut finden Sie hier >>>

 

Menschenwürde in der Arbeitswelt

Stellungnahme der Superintendentin und der Superintendenten der drei Kirchenkreise im Gestaltungsraum I (Münster, Steinfurt-Coesfeld-Borken, Tecklenburg) der Ev. Kirche von Westfalen zum Thema Billiglohnkräfte in der Fleischindustrie

Wir stellen fest, dass es auch in Westfalen eine Aushöhlung von Arbeitnehmerinteressen und Sozialstandards in der Fleischindustrie gibt. Dies betrifft insbesondere Schlacht- und Zerlegebetriebe.

Dort sind verschiedene Beschäftigungsformen verbreitet, vor allen Dingen Leiharbeit und Werkverträge. Über diese Werkverträge erhalten die Beschäftigten – zurzeit besonders aus Südosteuropa – in der Regel Entgelte weit unterhalb der für die Branche üblichen Tariflöhne. Dieses Werkvertragssystem entzieht sich jeglicher Aufsicht und bietet deshalb Einfallstore zum Missbrauch. Von den geringen Löhnen werden häufig willkürlich Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Fahrkosten von der Unterkunft zum Betrieb abgezogen. Oftmals bekommen die Beschäftigten keine für sie nachvollziehbare Gehaltsabrechnung. Außerdem gibt es massive Probleme mit dem Arbeitsschutz. Dazu leben die Beschäftigten zum Teil unter unmenschlichen Wohnbedingungen.

Die Instrumente der zuständigen Behörden sind weitgehend zu schwach, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Dazu kommt das Problem der unklaren Zuständigkeiten. Ansatzpunkte der Strafverfolgungsbehörden gibt es nur bei Vorenthaltung von Sozialabgaben und bei Steuerhinterziehung.

Wir fordern die EU-Abgeordneten unserer Region auf, sich im EU-Parlament im Rahmen des europäischen Stabilitätspaketes für gemeinsame und menschenwürdige Regelungen und Standards in den Werkverträgen einzusetzen.

Als Christinnen und Christen sind wir dem biblischen Menschenbild verpflichtet. Bereits im Alten Testament heißt es: „Einen Fremden sollst du nicht ausnutzen oder ausbeuten“ (2. Mose 22, 20). Unsere Verpflichtung zur Solidarität mit den Armen und Schwachen gründet in der Menschenwürde, die sich aus der Gottesebenbildlichkeit des Menschen ableitet. Menschenrechte und Menschenwürde sind auf diesem Hintergrund unterschiedslos allen Menschen zuzugestehen.

Die christliche Solidarität zeigt als Wesensmerkmal die Bereitschaft zum Teilen, zur Achtung voreinander und zur Zusammenarbeit miteinander über Ländergrenzen hinaus. Wir bitten Sie, sich in Ihrem politischen Kontext persönlich dafür einzusetzen, dass dem Abbau von Arbeitnehmerinteressen und Sozialstandards Einhalt geboten wird. Ziel müssen menschenwürdige Lebens- und Arbeitsverhältnisse für alle Beschäftigten in der Fleischindustrie sein. Die Lohnkostenmehrausgaben für eine gerechte Bezahlung sind zudem minimal, der Anteil der Lohnkosten an den Produkten der Schlacht- und Zerlegebetriebe ist gering. Die geringen Mehrkosten sollten sich Fleischindustrie, Handel und Verbraucher leisten. Wir können und müssen uns Gerechtigkeit leisten!

Als Christinnen und Christen wissen wir, dass wir nicht bei Forderungen an andere stehen bleiben können. Deshalb rufen wir auch unter uns und in unseren Kirchengemeinden zu einem veränderten Konsumverhalten auf. Weil Nahrungsmittel und menschliche Arbeitskräfte wertvoll sind, wollen wir auch selbst bewusst und verantwortlich damit umgehen.

Münster / Steinfurt / Lengerich, den 22. Juni 2014

Superintendentin Meike Friedrich

Evangelischer Kirchenkreis Münster

Superintendent Joachim Anicker
Evangelischer Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken

Superintendent André Ost
Evangelischer Kirchenkreis Tecklenburg