Kirchenkreis Steinfurt Coesfeld Borken

"Bekennen, wessen Hände unsere Welt halten"

Zum Nachlesen: Andacht von Pfarrer Frank Mönnig bei der Synode am 11.09.2020.

Pfarrer Frank Mönnig (Foto: Maximilian Stascheit)

Liebe Schwestern und Brüder, 

wir beginnen heute eine außergewöhnliche Synode.

Die erste ihrer Art und vermutlich nicht die letzte.

Corona hält uns weiter auf Abstand. 

Gewohnte Abläufe sind ausgebremst.

Das öffentliche Leben lahmt ebenso wie das Leben in unseren Gemeinden.

Es ist auch eine Zeit, in der viele unterschiedliche Sinndeutungen über die Pandemie nebeneinander stehen. Diese Deutungen versuchen im wesentlichen zwei Fragen zu beantworten:

Erstens: Wo kommt Corona her? Und zweitens: Was können wir aus der Krise lernen?

Aus verschiedenen Versatzstücken werden Erklärungen über das Virus zusammen gebaut und auf dem Markt der Aufmerksamkeit feil geboten. Dabei erwecken sie häufig den Anschein, wissenschaftlich fundiert zu sein. Doch bei genauerem Hinsehen ist es ein krypto-religiöser Kitt, der die einzelnen Theoriebausteine zusammen hält – und das sollte uns aufhorchen lassen.

Ich möchte ein paar Beispiele nennen:

Da war die Minipredigt des Bundestrainers Jogi Löw. Im schwarzen Existentialistenpulli stand er während des Lockdowns vor der Presse und erklärte nach einem Update zur Situation der Nationalmannschaft - O-Ton: „Das Tempo, das wir vor Corona vorgegeben hatten, war nicht mehr zu toppen. Macht, Gier, Profit, noch bessere Resultate, Rekorde standen im Vordergrund. Umweltkatastrophen und Krankheiten sind dagegen an den Rand der Wahrnehmung gedrängt worden.“

„Ich habe das Gefühl“, resümierte er, „dass die Erde sich ein bisschen stemmt und wehrt gegen die Menschen und deren Tun. Weil der Mensch immer denkt, dass er alles weiß und alles kann.“

Für Jogi Löw ist Corona eine Abwehrreaktion der personalisierten Erde. Gegen uns Menschen.

Drüben in Amerika sieht man das anders.

Donald Trump sprach davon, dass Corona eine Waffe Chinas ist, um den USA zu schaden. „Das ist schlimmer als der Terroranschlag vom 11.09.2001!“, empörte er sich öffentlich.

Wieder andere tragen im Internet Studien und Statistiken zusammen. Sie versuchen zu beweisen, dass Corona durch die Strahlung von Handys entstanden ist. Sie rufen zu Technikverzicht und Boykott des neuen Mobilfunks 5G auf.

Die drei Beispiele machen deutlich, dass die jeweilige Sinndeutung der Pandemie ein Produkt von Mittel und Zweck ist, um ethisch und politisch mobil zu machen. Menschen sollen dazu bewogen werden, bestimmten Denk- und Handlungsmustern zu folgen. Dabei beinhalten viele Deutungen von Corona eine trennscharfe Bestimmung von gutem und bösem Handeln bzw. von guten und bösen Fraktionen.

Der Kampf zwischen Gut und Böse bestimmt das Schicksal unserer Gesellschaft, manchmal sogar der ganzen Erde mit, ob wir nun von China erobert werden, von Handys verstrahlt oder die erboste Mutter Erde uns irgendwann den Garaus macht. Es sind alte religiöse Topoi, die sich zu Wort melden.

Und wir Christen und Christinnen? Wie positionieren wir uns? Was hat Gott mit Corona zu tun und was will er uns durch das Virus sagen?

Ich möchte eine Antwort anbieten.

Wenn wir die Bibel aufschlagen, beginnt sie mit „bereschit“, „im Anfang“ und erzählt darauf von der Erschaffung der Welt. Das heißt: Gott wollte nie bei sich selbst bleiben. Er ist urspunghaft, von seinem Wesen her, eben „im Anfang“, der Schöpfer. Derjenige, der sich mit der Schöpfung ein Gegenüber schafft, ohne das er nicht sein will. Er ist der Erde und ihren Lebewesen aufs Engste verbunden. Über sie spricht er seinen Segen: „Siehe, es war sehr gut.“ Woher das Böse kommt, bleibt in der Bibel ein Geheimnis. Die Schlange ist im Garten Eden einfach da und die ganze Erzählung vom Essen der Frucht will nicht das Böse erklären, sondern sie erzählt von der Verführbarkeit des Menschen zum Bösen.

Das böse Tun von Adam und Eva strafft Gott mit Flüchen in Gen 3,14-19. Diese Flüche heben den Schöpfungssegen nicht auf, aber sie schaffen dazu eine Spannung. Der zur Strafe gezwungene Gott wird von da an in eine Spirale aus Gewalt und weiteren Strafen gezogen, bis er zu dem Entschluss kommt, die vom Bösen kontaminierte Schöpfung durch eine Sintflut zu vernichten. Doch Noah rührt sein Herz an. Schließlich nimmt Gott den Beschluss zur Vernichtung zurück und erneuert den Schöpfungssegen in Genesis 9,1. Der Regenbogen ist im biblischen Verständnis Gottes Kriegsbogen, den er in den Himmel hängt. Er entsagt dem Kampf gegen das Böse. Frieden leuchtet über der Erde. Frieden über den Menschen, dessen Herz weiter verführbar bleibt, aber dem Gott unbedingt zur Seite stehen will.

Das Neue Testament bezieht sich auf den Schöpfungssegen, in dem es an markanten Stellen von der Fürsorge des himmlischen Vaters für seine Lebewesen spricht, zum Beispiel als Begründung für die Feindesliebe (Mt 5,45) oder als Einladung zum Verzicht auf das eigene Sorgen (Lk 12,22-32).

Ich glaube, dass dieser Schöpfungssegen Bestand hat. Daher glaube ich nicht, dass Gott uns diesen Virus als Strafe geschickt hat. Unser Vater wollte mit seiner Schöpfung im Anfang ein lebendiges Gegenüber, keinen Stein, der immer am selben Platz verbleibt. In dieser dynamischen Welt der Bewegung und Veränderung, in der Gene mutieren und sich Moleküle kreativ verbinden, entstehen auch neue

Formen von Viren. Sie gehören zur Schöpfung dazu und lassen sich weder vollständig einhegen noch ausmerzen.

Was uns als Christen und Christinnen ausmacht, wird sich - so verstanden - an unseren Taten zeigen, und zwar inwieweit wir unter den Bedingungen von Corona aufeinander Acht geben; inwieweit wir das biblische Gebot ernst nehmen, und besonders die Schwachen schützen – nicht aus einer Haltung des Bedenkentums und der Angst, sondern aus einer Haltung des Vertrauens und der Ermutigung zur Verantwortung. Gott gegenüber und den Menschen.

Die religiös unterfütterten Deutungen über das Virus fordern uns mit der Frage nach Schöpfungsfluch und -segen heraus, aber auch wie wir es als Christen und Christinnen mit der Macht Gottes halten.

Sogenannte "Verschwörungstheorien" behaupten, dass mächtige Einzelpersonen oder Gruppen einen Großteil dieser Welt kontrollierten und die Pandemie dazu diene, ihre Herrschaft zu zementieren. Dadurch wird die globalisierte Gegenwart zu einem guten Stück transparent und das eigene Leben bekommt eine pseudoreligiöse Stoßrichtung, indem es gegen die Agenten des Chaos in Stellung gebracht wird.

Demgegenüber können wir Christen und Christinnen auf den verweisen, der Bund und Treue hält ewiglich und der nicht Preis gibt das Werk seiner Hände. Für die Bibel bleibt es kein Bekenntnis zu einem Gott, der der seufzenden Erde selig entzogen wäre. Er ist dabei, zieht voraus und stellt sich den Mächten des Chaos entgegen.

„Wer ist der König der Ehre? Jahwe ein Mächtiger und ein Held“, preist Psalm 24,8.

Neben dieser konfrontativen Seite von Gottes Macht, zeigt die heilige Schrift aber auch durchgehend, dass Gott seine Macht begrenzt. Gleich zu Beginn, indem Gott darauf verzichtet, sich und seine Macht zu verdoppeln. Stattdessen erschafft er eine Welt, die endlich ist, dabei ihm, dem Ewigen, doch ähnlich. Immer wieder geschieht dieselbe Bewegung: dass er sich mit seiner Allmacht zurück nimmt und seine

Taten zart hinein webt in das Leben der Menschen, hinein in Gebet, in Bitte, Lob, Klage, Zuspruch und Verheißung. Er hört hin, was sie brauchen, nimmt barmherzig, geduldig und gütig Anteil. Die Rücknahme seiner Verfügungsmacht ist für viele Christen ein Zeichen der Liebe, die sich im Kreuz verdichtet, von dem Bonhoeffer sagt: „Durch seine Ohnmacht in der Welt gewinnt Gott Macht und Raum“ (Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 142).

Insbesondere die Erfahrung einer chaotischen, von Krisenstimmungen durchzogenen Welt, beschwört die Fantasie von „Machern“ und „starken Männer“ in den Hinterzimmern der Macht hervor.

Ich bin der Überzeugung, dass unsere Zeit die Rede vom biblischen Gott braucht, der sich weigert, wie ein weiterer der starken Männer aufzutreten. Er hat seinen Kriegsbogen in den Himmel gehangen und nimmt Anteil. Auf diese Weise wirkt er.

Mit seiner geisterfüllten Macht: nicht gegen die Krise, sondern in der Krise, nicht gegen das Chaos, sondern mitten darunter, nicht gegen Andersartigkeit, sondern schon im Anfang durch das Angesicht des Anderen.

Ich wünsche mir, dass wir Christen deutlich bekennen, wessen Hände unsere weite Welt halten.

Die Zukunft wird nämlich nicht von Mächtigen in Hinterzimmern verhandelt. Die Zukunft zieht herauf, wie es in der Schrift heißt, als Himmelreich.

Dieses Reich können wir nicht dingfest machen, wir können damit auch nicht unsere chaotische Welt dingfest machen, aber eins ist gewiss: Es ist von dem, der uns die Dinge zum Besten dienen lässt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der halte unseren Verstand wach, unsere Hoffnung groß und stärke unsere Liebe.

Amen.